Phytolacca decandra. Kermesbeere. Phytolaccaceae.

Botanical name: 

Name: Phytolácca decándra L. (= Phytolacca americana L.) Kermesbeere. Französisch: Raisin d'Amérique; englisch: Virginian poke, garget weed, red ink plant; italienisch: Fitolacca, erba cremesina, e. amaranta, amaranto; schwedisch: Kermesbär; tschechisch: Ličidlo obecné; ungarisch: Alkörmös.

Verbreitungsgebiet: Im Mittelmeergebiet kultiviert.

Namensursprung: Phytolacca ist aus dem griechischen φντ_ν (phyton) = Pflanze und λ_χ (lac) = Lack, Lackfarbe wegen des purpurroten Saftes der Früchte zusammengesetzt; decandra weist auf die zehn Staubfäden der Blüute hin.

Botanisches: Die Gemeine Kermesbeere ist eine aufrechte Staude von etwa 2 m Höhe mit krautigem Stengel, die mit starker Pfahlwurzel überwintert. Die sehr kurz gestielten Blätter sind aus keiligem Grunde eiförmig oder lanzettlich, zugespitzt und ganzrandig. Blattstiele, Stengel und Zweige sind oft dunkelviolett angelaufen. Die Blüten bilden reichblütige, gestielte, zunächst aufrechte, dann etwas überhängende Trauben. Das Perigon ist weißlich, später oft rosa gefärbt. Die eiförmigen stumpfen Zipfel sind länger als die zehn Staubgefäße. Der Fruchtknoten ist aus zehn Fruchtblättern gebildet und trägt zehn Narben. Es entwickelt sich eine purpurne oder schwarzviolette beerenartige Frucht, die meist zehnfächerig und zehnrippig ist. Die Pflanze ist in Nordamerika beheimatet, in Europa aber häufig angebaut und im Mittelmeergebiet verwildert. Blütezeit: Juni bis September.

Geschichtliches und Allgemeines:

Das Kraut und die Beeren, Herba et Baccae Phytolaccae seu Solani racemosi, sind schon längere Zeit im medizinischen Gebrauch. Die älteren Blätter, innerlich genommen, wurden als ein wirksames Mittel gegen den Krebs gerühmt. Zollikofer empfahl den Saft der reifen Beeren, der einen Bestandteil des Balsam. tranquillans bildete, gegen chronischen Rheumatismus. Die Beobachtung, daß Tauben und andere Vögel, welche die Beeren essen, eine rötliche Färbung erhalten und stark abmagern, hat zu ihrer Verwendung bei Entfettungskuren geführt. Auch soll der Genuß des Fleisches dieser Vögel abführend wirken. Melkerinnen sollen die Kermesbeeren äußerlich mit Erfolg gegen Verhärtungen des Euters angewandt haben.

Im südlichen Europa wird der Saft der Beeren vielfach zum Färben von Zuckerwaren und Wein gebraucht, was jedoch in Anbetracht der schädlichen Folgen nicht ungefährlich ist. Vergiftungen durch die Beeren sind öfters beobachtet worden. Ein achtjähriger Knabe, welcher eine größere Mengen Beeren gegessen hatte, klagte über heftige Magenschmerzen. Starkes Erbrechen stellte sich ein, die Kehle war rot entzündet, die Mandeln geschwollen. Als das Erbrechen nachließ, setzte Diarrhöe ein, der Stuhl war braun und dünn, der Magen gegen jeden Druck äußerst empfindlich, und die Zunge zeigte weißen Belag. Später stellte sich starkes Kneifen in der Nabelgegend und krampfhaftes Zucken der Arme und Beine ein. Bei einem anderen Knaben, der zwei oder drei Drachmen (= 3,75 g) der Wurzeltinktur getrunken hatte, zeigten sich nicht diese Symptome, sondern vollkommener Tetanus. Am nächsten Tage war er jedoch wieder hergestellt. Daneben sind aber auch tödliche Vergiftungen bekanntgeworden.

Wirkung

Nach v. Haller (v. Haller, Medicin. Lexicon, 1755, S. 1130.) sollen die grün zerquetschten Blätter der Phytolacca, als Breiumschlag aufgelegt, "eine zuverlässige Kraft wider den Krebs" haben. In ihrer Heimat verwendet man die Wurzel als Purgans, Emetikum, Antirheumatikum, Antiarthritikum, Antisyphilitikum, in Abessinien als Taenifugium (Dragendorff, Die Heilpfl. d. versch. Völker u. Zeiten, S. 201.).

Nach Clarus (Clarus, Handb. d. spez. Arzneimittell., S. 1083, 1860.) wirken die Früchte der Phytolacca als Taenifugium noch kräftiger als die Kosoblüten.

Von homöopathischer Seite wird Phytolacca gern bei Entzündungen aller Art, insbesondere der Drüsen, bei Grippe, Diphtherie, Angina, Neuralgien, Abmagerung und Marasmus gegeben (Stauffer, Hom. Taschenb., S. 278; Schmidt, Lehrb. d. hom. Arzneimittell., S. 249.).

Stiegele (Stiegele, Allgem. hom. Ztg., Oktober 1935, S. 265.) empfiehlt Phytolacca D 1, dreimal täglich 3 Tropfen bei fokaler Grundlage der Polyarthritis acuta. Bei anderer Ursache bevorzugt er Bryonia D 1 in derselben Dosis.

In großen Dosen genommen, verursacht die Phytolacca-Wurzel Magenbeschwerden, Brechreiz und Diarrhöe (Thoms, Handb. d. pr. u. wiss. Pharm., Bd. 5, S. 785.). Sie soll ein narkotisch wirkendes Alkaloid, Phytolaccin (Preston, Am. J. of Pharm. 1884, S. 567.), enthalten, das aber von anderer Seite nicht aufgefunden werden konnte (Partee, Am. J. of Pharm. 1888, S. 123.).

Die Wurzel der japanischen Kermesbeere, die stark diuretisch wirken soll (Hübotter, Beiträge zur Kenntnis der chinesischen sowie tibetisch-mongolischen Pharmakologie, S. 107, Berlin 1913.), sowie die der Phytolacca decandra sollen auch Phytolaccotoxin enthalten, das nach Kashimura (Kashimura, Pharm. Journ. and Trans. 1891, S. 1170.) wie Pikrotoxin wirkt.

Nach Hartwich (Hartwich, Neue Arzneidrogen, S. 255.) ist der wirksame Bestandteil ein Saponin.

Bei Untersuchungen über Toxingehalt wurden in Phytolacca decandra durchschnittliche Mengen von ausfällbarem Eiweiß von starker Giftigkeit gefunden. Hinsichtlich des Saponingehaltes wurde für die homöopathische Urtinktur ein hämolytischer Index von 1 : 100, für das "Teep"-Präparat ein solcher von 1 : 10 000 festgestellt (Nach eigenen Untersuchungen; vgl. auch Kuhn u. Schäfer, Pharm. Ztg. 1935, Bd. 80, S. 257.).

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Phytolacca decandra wird mit teilweise recht gutem Erfolge bei Fokalinfektion, z. B. Infektarthritis+) verordnet. Das Mittel wird im wesentlichen in der Homöopathie angewendet, verdient aber weiteste Beachtung. So lassen sich zahlreiche Erkrankungen, die auf Fokalinfektion zurückzuführen sind, damit heilen, z. B. Rheumatismus nach Mandel- oder Mittelohrentzündung (hier bezeichnet es M. Flähmig geradezu als unschätzbar), weiter Lumbago, Ischias, Neuralgien, Krampfzustände.

Auch bei Postinfektionserkrankungen, Erkrankungen nach Zahnextraktionen, nach ulzerösen Anginen wird es gelobt, so z. B. auch bei Scharlachnephritis, Grippe- und Diphtheriefolgen. Bei allen vom Hals ausgehenden Erkrankungen ist es sehr beliebt, z. B. bei Pharyngitis, Laryngitis (chronischer Heiserkeit), aufsteigenden Ohrleiden (Stinkohr). Von Drüsenerkrankungen werden genannt Mumps, Adenitis chronica, Induratio Mammae (Milchstockungen, Brustknoten), Anginen.

Die Wirkung bei Fettsucht und Fettherz ist sehr zweifelhaft. Gelobt wird die Anwendung bei Hämorrhoidalbeschwerden. Bei malignen Tumoren soll eine Verlangsamung des Wachstums eintreten. In Verbindung mit anderen Mitteln wird auch von einem Stillstand des Wachstums gesprochen. So gibt es z. B. Krug, Lörrach, im Wechsel mit Conium und Lapis alb.

Die frischen Blätter können als Auflagen bei Tumoren, Geschwüren, Hämorrhoiden, Grind usw. benutzt werden.

Als Wechselmittel sind Bryonia, Rhus toxicodendron, Belladonna, Salvia und Conium beliebt.

+) Beispiel für die Anwendung: (Nach Stiegele, Allgemeine homöopathische Zeitung 1930, S. 25.)

Ein 19jähriger Mann war vor etwa drei Wochen an einer Angina und an nachfolgenden gelenkrheumatischen Erscheinungen erkrankt. Er war 14 Tage in einem anderen Krankenhaus mit oralen und intravenösen Salicyldosen und dazu noch mit abends verabreichten Schlafmitteln ohne jeden Erfolg behandelt worden. In Berücksichtigung des ätiologischen Ganges der Erkrankung erhielt er gleich bei der nachmittägigen Einlieferung in unser Haus Phytolacca D 1, zweistündlich 5 Tropfen mit der Wirkung, daß die nächste Nacht von gutem Schlaf und Entfieberung gefolgt war. Die Heilung trat ohne rückfällige Erscheinungen ein.

Angewandter Pflanzenteil:

v. Haller und Geiger kennen die Verwendung von Blättern bzw. Kraut und Beeren.

Später kennt man zu arzneilichem Gebrauch nur noch die Wurzel (Dragendorff, Thoms, Schmidt, Hager, Zörnig, Stauffer).

Auch das HAB. empfiehlt die frische Wurzel zur Bereitung der Essenz (§ 3). Aus frischen, im Herbst nach dem Abwelken geernteten Wurzeln wird auch das "Teep" bereitet.

Dosierung:

Übliche Dosis:
0,06-0,3 g der Wurzel als Alterans (Brit. Pharm. Codex);
1 g der Wurzel als Emetikum (Brit. Pharm. Codex).
Zweistündlich 1 Tablette der Frischpflanzenverreibung "Teep".
(Die "Teep"-Zubereitung ist auf 10% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,025 g Rad. Phytolaccae decandrae.)

In der Homöopathie:

dil. D 1, zweistündlich 5 Tropfen.

Maximaldosis:

Nicht festgesetzt.

Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.