Polygala amara. Bittere Kreuzblume. Polygalaceae.

Botanical name: 

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Name: Polýgala amára L. Bittere Kreuzblume, Bittere Ramsel, Blaue Milchblume. Französisch: Polygala au lait; englisch: Milkwort; italienisch: Polygala; dänisch: Bitter Mälkeurt; norwegisch: Bitter Blåfjer; polnisch: Krzyzownica; russisch: Istod; schwedisch: Jungfrulin; tschechisch: Vitod hořky; ungarisch: Pacsirtafü.

Namensursprung: Polygala wird nach Plinius von πολ_ς (polýs) = viel und γ_λα (gala = Milch) abgeleitet, weil der Genuß der Pflanze die Kühe zu starker Milchabsonderung veranlassen soll. Der lateinische Name amara nimmt Bezug auf den bitteren Geschmack der Pflanze. Der deutsche Name Kreuzblume wird in Beziehung zum gotischen "hram-jan" = kreuzigen (Schmerz, Qual) gebracht, weil die Blume in der Kreuzwoche (2. Woche vor Pfingsten) zu blühen beginnt.

Volkstümliche Bezeichnungen: Benennungen, die z. T. auf die Blüten gehen, sind Feldsträußl, Peterzöpfl (Niederösterreich), Goldhansel (Egerland), Schneiderlein (Böhmerwald), Natternzüngl (Nordböhmen), Pilgerblume (Eifel).

Botanisches: Die ausdauernde, 5-20 cm hohe Pflanze mit spindelförmiger Wurzel und ästigem Erdstock ist in Europa beheimatet und bevorzugt Kalk. Gern erscheint sie auf moosreichen Frischwiesen. Dung- und Fettwiesen meidet sie jedoch. Die Stengel sind kahl und wenig verzweigt. Ihre unteren Blätter sind rundlich, die oberen länglich. Die grundständige Rosette hingegen besteht aus elliptischen Blättern. Die blauen, roten, violetten oder weißen Blüten sind zu langen (bis zu 17 cm) aufrechten Trauben vereinigt. Blütezeit: Mai bis Juni. Polygala amara tritt in zwei Unterarten auf, die morphologisch kaum zu unterscheiden sind. Nach Zörnig (Arzneidrogen 1911) sollen die an trockenen Orten gewachsenen Pflanzen bitter, die an sumpfigen Stellen fast geschmacklos seiń. Auch Wünsche-Schorler (Die Pflanzen Sachsens 1919) geben neben der P. amara L. mit bitterem Geschmack, die auf trockenen Wiesen wächst, eine Subspecies P. amarella Cr. von mäßig feuchten Wiesen an, die keinen hervortretenden Geschmack besitzt.

Geschichtliches und Allgemeines:

Die Kreuzblumen waren den antiken Schriftstellern schon bekannt. Das Polygalon des Dioskurides ist wohl mit Polygala venulosa Sibth. identisch, während die Polygala des Plinius wohl die Polygala vulgaris oder amara ist. Plinius und Dioskurides erwähnen die die Milchsekretion fördernde Eigenschaft der Pflanze. Die Angaben der Kräuterbücher des Mittelalters über die Kreuzblume sind äußerst spärlich. Es heißt in ihnen, daß sie die Milch vermehre und gut gegen Fieber und Geschwülste sei. Großes Aufsehen riefen die Lobeserhebungen von Josef Collin, dem Nachfolger von Störck in Wien, hervor. Die Bittere Kreuzblume wächst in großen Mengen auf dem Kahlen Berg bei Wien und Collin prüfte ihre Wirkung bei Schwindsucht und vernachlässigter Lungenentzündung. Die Lobpreisungen hielten aber nach Hecker keiner strengen Prüfung stand. In China wird die Droge gegen Hydrophobie gegeben.

Wirkung

Nur wenige Indikationen weiß Lonicerus (Lonicerus, Kreuterbuch, 1564, S. 262 D.) von der "Creutzblum" anzugeben: Sie rege die Milchsekretion an und sei äußerlich gut zu brauchen gegen Hitze und Geschwülste.

Das Gleiche schreibt Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 212.).

Die milchtreibende Kraft rühmt auch v. Haller (v. Haller, Medicin. Lexicon, S. 1143.), nach desser Schilderung Pariser Ärzte Versuche mit "der deutschen polygala" gemacht haben, die beinahe die gleiche Wirkung ergaben wie die mit Polygala senega angestellten. Die Wurzel soll nach ihm Vomitus und Tenesmus ani hervorrufen.

Hufeland (Hufeland, Journal, Bd. 48, II., S. 29.) veröffentlichte eine Mitteilung Hofrat Fickers, der Polygala amara mit gutem Erfolg bei Larynxtuberkulose gab, um dem Übergang in Eiterung zu steuern.

Friedrich (Friedrich, Sammlung von Volksarzneimitteln, 1845, S. 88.) kennt den Gebrauch bei Lungenschwindsucht, Lungen-verschleimung, veralteten Katarrhen, schlechter Verdauung und schleimigen Diarrhöen.

In der lettischen Volksmedizin wird sie gegen Schreckneurosen und Frauenleiden gebraucht (J. Alksnis, in Histor. Studien aus dem pharm. Inst. d. Univ. Dorpat, Bd. IV, S. 220, 232, Halle 1894.).

Auch Schulz (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 138.) und Bohn (Bohn, Die Heilwerte heim. Pfl., S. 53.) nennen das Kreuzblumenkraut als Heilmittel bei chronischen Lungenleiden, insbesondere Bronchoblenorrhöe und Asthma pituitosum.

Nach älteren Untersuchungen wurden u. a. ein Bitterstoff Polygamarin, ätherisches Öl, fettes Öl und Senegin als Inhaltsstoffe angegeben (Wehmer, Die Pflanzenstoffe, S. 668.). Neuerdings beschäftigten sich Glaser und Krauter (E. Glaser u. H. Krauter, Ber. Chem. Ges. 1924, Nr. 57, S. 604.) mit den Inhaltsstoffen der Polygala amara und wiesen in ihr verschiedene Saponine (1%) nach, und zwar ein neutrales, mit dem Senegin anscheinend identisches Saponin und ein saures, das in seinem Verhalten mit der Polygalasäure der Senega identisch zu sein scheint. Auf Grund dieser Befunde glauben sie das Bittere Kreuzkraut als Ersatz der ausländischen, teueren Senega empfehlen zu können. Dieser Ansicht schließt sich auch H. Leclerc (H. Leclerc, Précis de Phytothérapie, S. 228, Paris 1927.) an, der Polygala amara in keiner Hinsicht der Senega unterlegen fand, sondern sie wegen ihrer gleichzeitigen Wirkung als bitteres Tonikum auf die Verdauungsorgane noch bevorzugt. Er verordnete sie mit gutem Erfolge bei postgrippösen Bronchitiden der Greise zur Lösung des Bronchialschleims und bei Keuchhusten mit vorwiegend katarrhalischem Charakter.

Bezüglich des Saponingehaltes in den Zubereitungen aus Polygala amara wurde in der homöopathischen Urtinktur ein hämolytischer Index von 1 : 100 gefunden (Nach eigenen Untersuchungen; vgl. auch Kuhn u. Schäfer, Pharm. Ztg. 1935, Bd. 80, S. 257.).

Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):

Dänemark: Bei Brustleiden.

Litauen: Der Aufguß des Krautes von Polygala amarella wird bei Knochenschmerzen und Appetitlosigkeit getrunken.

Polen: Als Amarum bei Darmkatarrhen.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Polygala treibt Schleim und Milch. Ihre allgemeine kräftigende Wirkung beruht u. a. auf ihrem Gehalt an Bitterstoffen. Bei bestehender starker Sekretion Lungen- und Kehlkopfkranker führt sie unter Erleichterung der Absonderung zu gesteigerten Abwehrvorgängen. Man verordnet die Bittere Kreuzblume bei: Tuberkulose, chronischer Bronchitis, auch mit eitrigem Auswurf, Hämoptoe, Lungenemphysem, Pneumonie und Asthma. Weiter reagieren schleimige Diarrhöen, Gastritis, Enteritis und Dyspepsie gut darauf.

Angewandter Pflanzenteil:

Lonicerus und Bock schreiben nur vom Kreuzblümlein, meinen also wohl die ganze Pflanze.

v. Haller kennt nur die Verwendung der Wurzel.

Bohn empfiehlt die ganze Pflanze, Wasicky Herba Polygalae amarae, Kroeber die blühende Pflanze mit Wurzel, Schulz Wurzel und Kraut ebenso wie Zörnig, Geiger und Thoms.

Friedrich läßt nur die Wurzel verwenden, die er im Mai zu sammeln rät, wo sie am kräftigsten sei.

Geiger erwähnt, daß Polygala amara mit P. vulgaris verwechselt worden wäre, woraus sich wohl die Unwirksamkeit der daraus bereiteten Arzneien erklären lasse. Die Unwirksamkeit dieser Art hebt Schulz besonders hervor. Auch Zörnig betont, daß der P. vulgaris der bittere Geschmack fehle und sie deswegen unwirksam sei. Pharmazeutisch verwendbar sind nach der Meinung Geigers nur die an trockenen, gebirgigen Orten gesammelten Pflanzen.

Zur Gewinnung des "Teep" werden die ganzen, frischen, blühenden Pflanzen mit Wurzel von Polygala amara benutzt. Sammelzeit: Mai bis Juli. Das HAB. nennt zur Herstellung der Essenz nur Polygala amara und verwendet die frische, blühende Pflanze ohne Wurzel (§ 3).

Herba Polygalae cum radice ist offizinell in Schweden, Dänemark, Portugal und Rumänien.

Dosierung:

Übliche Dosis:
1 g des Pulvers (Dinand);
0,1-0,5 g des Extraktes (Leclerc);
1 Teelöffel voll des Krautes (= 2,8 g) zum kalten Aufguß als Tagesmenge.
1 Tablette der Frischpflanzenverreibung "Teep" dreimal täglich.
(Die "Teep"-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,125 g Hb. Polygalae amarae c. rad.)

In der Homöopathie:

Wenig gebräuchlich.

Maximaldosis:

Nicht festgesetzt.

Rezepte:

Bei Tuberkulose und chronischer Bronchitis als Adjuvans:

Rp.:
Hb. Polygalae conc. . . . 30 (= Kreuzblumenkraut)
D.s.: 1 Teelöffel voll mit 2 Glas Wasser kalt ansetzen, 8 Stunden ziehen lassen und tagsüber verteilt trinken.
(Teezubereitung: Der Extraktgehalt des im Verhältnis 1 : 10 heiß bereiteten Tees beträgt 3,1% gegenüber 3,2% bei kalter Zubereitung. Der Aschengehalt des Extraktes beträgt in beiden Fällen 0,25%. In der kalten Zubereitung ist die Peroxydasereaktion sofort stark positiv, in der heißen Zubereitung ist sie nicht festzustellen. Auch ein im Verhältnis 1 : 100 bereiteter Tee ist infolge seines bitteren Geschmackes kaum noch trinkbar. Eintritt der Hämolyse in dem heiß bereiteten Auszug 1 : 100 nach 1 Stunde, im kalt bereiteten Auszug nach 1 Stunde und 30 Minuten. Daraus ergibt sich ein hämolytischer Index in der heißen Zubereitung von 1 : 300 in der kalten Zubereitung von 1 : 200.
1 Teelöffel voll wiegt 1,4 g. Es wurde die Bitterstoffgrenze festgestellt, die bei einer Verdünnung von 1 : 15 000 liegt. Bei diesen Versuchen konnte ein Unterschied bei kalter und heißer Zubereitung nicht gefunden werden. Die Herstellung kann daher kalt oder heiß erfolgen.).
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.03 RM.

Als Expektorans (nach Klemperer-Rost):

Rp.:
Decoct. Herbae Polygalae amarae . . . (25) 150 Liqu.
Ammonii anisati . . . 5
Sir. Althaeae . . . ad 200
M.d.s.: Ein- bis zweistündlich 1 Eßlöffel.
Rezepturpreis c. vitr. etwa 2.33 RM.

Als Laktagogum (nach E. Becker):

Rp.:
Rad. Polygalae (= Kreuzblumenwurzel)
Hb. Urtioae . . . aa 50 (= Brennesselkraut)
C.m.f. species.
D.s.: 2 Teelöffel auf 2 Glas Wasser, vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.

Bei chronischer Bronchitis und Tuberkulose als Adjuvans (nach Wittlich):

Rp.:
Rad. Polygalae (= Kreuzblumenwurzel)
Fruct. Anisi (= Anissamen)
Fruct. Foeniculi (= Fenchelsamen)
Hb. Melissae . . . aa 20 (= Melissenkraut)
C.m.f. species.
D.s.: 1 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser, vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.

Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.