Sambucus ebulus. Zwergholunder, Attich. Caprifoliaceae.
Name: Sambúcus ébulus L. (= S. humilis Lam., = Ebulum humile Garcke). Zwergholunder, Attich. Französisch: Petit sureau, hièble, yèble, gèble, yoltes; englisch: Dwarf-elder, danewort; italienisch: Ebolo, ebbio, lebbio, sambuchella, colore; dänisch: Sommerhyld, Attik; polnisch: Hebd; russisch: Buznik; schwedisch: Sommarhyll; tschechisch: Chebdí; ungarisch: Gyalog bozda.
Namensursprung: Erklärung zu Sambucus und Holunder s. Sambucus nigra. Die Etymologie des schon von den Römern für die Pflanze gebrauchten Namens Ebulus ist unsicher. Die deutsche Bezeichnung Attich ist ein Lehnwort des griechischen Namens für Holunder άχτί (akté).
Volkstümliche Bezeichnungen: Atch, Atsch, Aacht (Nahegebiet), Attach, Adach (Kärnten, Tirol, Salzburg), Adä (Oberösterreich), Aderbeer (Oberösterreich, Kärnten) und daraus entstellt bzw. an "Natter", "Otter" angelehnt Nadö, Naderbeer (Oberösterreich), Natterbeer (Kärnten), ferner Addich, Laddich (Schwäbische Alb), Aktebeer, -chrut (Schweiz). Zum Unterschied vom ähnlichen Schwarzen Holunder heißt der Attich wilder Holler (z. B. Niederösterreich, Schweiz), Schindholder, Holderkraut (Schwäbische Alb).
Botanisches: Die ausdauernde, 50-200 cm hohe Pflanze mit kräftigem, kriechendem Wurzelstock ist in Europa, Westasien und Nordafrika beheimatet. Der im Herbst ganz absterbende Stengel trägt einfach oder doppelt gefiederte Blätter und zu einer endständigen, schirmartigen Trugdolde vereinigte weiße oder rote Blüten, die einen Bittermandelgeruch ausströmen. Zur Reifezeit färben sich die Fruchtäste violett oder purpurrot. Früchte schwarz. Der Attich tritt gewöhnlich truppweise auf Waldböden, an sonnigen, buschigen Hängen und an Weingartenrändern auf. Blütezeit: Juni bis Juli. - Sein unangenehmer Geruch soll Mäuse und Wanzen vertreiben.
Geschichtliches und Allgemeines:
Sambucus ebulus fand ebenso wie Sambucus nigra in der Heilkunde des griechischen und römischen Altertums Verwendung und wurde in gleicher Weise als Diuretikum, Purgans und gynäkologisches Mittel empfohlen. Einer besonderen Wertschätzung erfreuten sich Abkochungen der Blätter als Schleim und Galle abführendes Mittel und Abkochungen der Wurzel mit Wein als Mittel gegen Wassersucht. Im Mittelalter blieb der Gebrauch derselbe. Verwendet wurden die Wurzel, besonders die Wurzelrinde, sowie die des Stengels und die Blätter. Letztere wurde auch äußerlich bei Geschwülsten aufgelegt, auch hatte man eine aus den frischen Blättern mit Rindsfett zubereitete Salbe, die zu Einreibungen bei Podagra diente. Die Blumen wurden wie die von Holunder als Teeaufguß gegeben.
Auch in der heutigen Volksmedizin findet der Attich noch Verwendung. Holuby berichtet von den Slowaken, daß der Attich mit Urin gedünstet als Umschlag gegen Wassersucht verwendet wird. Der aus den reifen Beeren gekochte Leckwar wird gegen Husten, das aus den Kernen gepreßte Öl in kleinen Dosen als Abführmittel genommen. In Lettland wird die Rinde mit Schwefel gekocht gegen Krätze verwendet. - Die mit Ölen und Arzneien hausierenden Tiroler bringen Attichsalsen und Windlatwergen "eine Salsen (Sulze) zum Harn- und Windtreiben" zu den bayrischen Bauern.
Die Beeren geben eine blaue Farbe zum Färben von Leder und Garn und sind zu diesem Zwecke vielleicht schon von den Pfahlbauern verwendet worden. Zum Schutz gegen gewisse Pferdekrankheiten sollen die Troßknechte der Ritter in Mitteldeutschland den Attich in der Nähe von Burgen angepflanzt haben.
Wirkung
Von Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 296.) werden die Attichdolden als Laxans, Resolvens und Expektorans geschildert, die Wurzel aber als "berümpte artznei" bei Wassersucht genannt. Den Blätterabsud läßt er bei eitriger Angina und Podagra äußerlich anwenden.
Die gleichen Indikationen gibt auch Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 452.) an.
Nach Zwinger (Zwinger, Theatrum botanicum, 1696, S. 116.) wirken Wurzel, Beeren und Samen des Attichs noch stärker diuretisch als die des Holunders. Die jungen Dolden in weißem Wein gesotten und als Gemüse gegessen wirkten abführend. Weiter schreibt er: "Die rothe Attich-wurtzel / aber nicht die rinden / in dem Frühling gesamblet / und zu pulver gestossen / ist gut wider die starke monatliche Reinigung der Weiber / man gibt davon ein halb quintlin in rothem wein ein."
Weinmann (Weinmann, Phytanthoza iconographia, Regensburg 1737, Bd. 2, S. 365.) erwähnt die purgierende Eigenschaft der Rinde und Wurzel und kennt den hauptsächlichen Gebrauch bei Hydrops. Die Blätter und Beeren sollen bei Podagra gute Dienste tun, die Blätter als Umschläge auch bei geschwollenen Füßen.
Kneipp (Kneipp, Das große Kneippbuch, S. 904, München 1935.) berichtet, mit dem Attichwurzeltee sehr gute Erfolge auch bei vorgeschrittener Wassersucht erzielt zu haben.
Die Wurzel, die Saponin enthalten soll (Wasicky, Lehrb. d. Physiopharm., S. 561.), erregt, in größeren Mengen genossen, Vomitus und heftige Diarrhöe, in kleinen Dosen wirkt sie stark diuretisch (Bohn, Die Heilwerte heim. Pfl., S. 30.) und ist darum Bestandteil zahlreicher Geheimmittel gegen Wassersucht (Kroeber, Das neuzeitl. Kräuterbuch, S. 407.).
Nach Geßner (O. Geßner, Die Gift- und Arzneipflanzen von Mitteleuropa, S. 112, Heidelberg 1931.) hat der Genuß der schwarzen Beeren bei Kindern zu tödlichen Vergiftungen geführt (heftigste Brechdurchfälle, Kopfschmerz, Schwindel, Pupillenerweiterung, Koma).
Nach Künzle (Künzle, Salvia, 1921, S. 67.) übertrifft der Attich an Wirksamkeit Sambucus nigra und S. racemosus.
Als chemische Bestandteile werden genannt (Vgl. 7).): ein cyanogenes Glykosid, Emulsin, Bitterstoff, ätherisches Öl. Die Wurzel enthält ein Blausäure abspaltendes und ein Nitril bildendes Enzym, die Rinde von Wurzeln und Zweigen Bitterstoff und Emulsin. In den Beeren fanden sich u. a. Valeriansäure, ätherisches Öl, Gerbstoff, Bitterstoff.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Als Diuretikum, Diaphoretikum und Laxans, äußerlich als Gurgelwasser.
Polen: Die Wurzel als Diuretikum, die Blüten als Diaphoretikum.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Sambucus ebulus ist als Diuretikum, insbesondere bei Hydrops (auch Aszites) sehr wirkungsvoll. Weitere Indikationen sind: Harnsäure-Diathese, Nephropathien, Cystitis, Harngrieß, Urinverhaltung, Rheuma. Seltener wird der Attich als Diaphoretikum gegen Husten, Heiserkeit, Obstipation und Blinddarmentzündung genannt. Retschlag lobt die Tinktur gegen Kotbrechen bei Darmeinklemmung, und Funke spricht ihr bei Verstauchungen eine der Arnica ähnliche Wirkung zu. Bei Adipositas verordnet Rose einen Tee aus Sambucus ebulus und Fucus vesiculosus.
Äußerlich werden die Attichblätter als Dekokt zum Gurgelwasser bei Halsgeschwüren, als Umschlag gegen Podagra und Milzschmerzen erwähnt. Als Diuretikum wird Sambucus ebulus gern im Teegemisch mit Juniperus und Betula gegeben.
Angewandter Pflanzenteil:
Bock und Matthiolus führen die Verwendung von Dolden, Blättern und Wurzeln an.
Die neueren Autoren Bohn, Künzle und Kroeber lassen die Wurzel verwenden, die auch Pfarrer Kneipp empfiehlt.
Das HAB. läßt die Essenz aus den frischen, reifen Beeren herstellen (§ 1). Das "Teep" wird aus den frischen Wurzeln bereitet.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
In der Homöopathie:
Maximaldosis:
Rezepte:
Als Diuretikum, insbesondere bei Hydrops:
- Rp.:
1 Teelöffel voll wiegt 2,9 g. Im Hinblick auf den Extraktgehalt kann dieser Tee kalt unter Verwendung von ½ Teelöffel voll auf 1 Teeglas hergestellt werden.).
Bei Aszites und Nephropathien (nach Kneipp):
- Rp.:
Bei Hydrops (nach Dinand):
- Rp.:
Bei Harnsäure-Diathese (nach Wolf):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.