Aesculus hippocastanum. Roßkastanie. Hippocastanaceae.
Name: Áesculus hippocástanum L. (= Hippocastanum vulgare Gaertner). Gemeine Roßkastanie. Französisch: Marronnier d'Inde; englisch: Common horsechestnut; dänisch: Hestekastanie; italienisch: Castano d'India, Ippocastano; litauisch: Kaštanas; polnisch: Kasztan konski; russisch: Konskij kasztan; tschechisch: Jírovec obecný, Raštan Roňský; ungarisch: Vadgesztenye, lósgesztenye.
Namensursprung: Den Gattungsnamen "Aesculus" erhielt die Art von Linné nach einer von römischen Schriftstellern als aesculus bezeichneten Eichenart. Die Ableitung ist unsicher, wird aber häufig mit edere = essen zusammengebracht. Der Name Roßkastanie soll diese Frucht vor der ähnlichen (jedoch Scheinfrucht!) echten Kastanie als minderwertiger, nicht für den menschlichen Genuß geeignet, kennzeichnen.
Volkstümliche Bezeichnungen: Wildi Kest(ene), Jude(n)kest, Säukestene (Elsaß), Vexierkescht (alemannisch), Kristanje, Kastangel, Kastandel (niederdeutsch), Keschte, Kästene, Kescheze (Baden).
Botanisches: Die Roßkastanie ist ein stattlicher Baum, der 30 und mehr Meter hoch werden kann. Die schön gewölbte Krone ist dicht, die Außenzweige hängen zuletzt über. Die Borke des Stammes ist später graubraun oder grauschwarz und blättert in dünnen Schuppen ab. Charakteristisch sind die dicken, kegelförmigen und stark klebrigen Knospen. Die Laubblätter sind fünf- bis siebenzählig gefingert und haben einen rinnigen Stiel, der bis zu 20 cm lang wird. Die Blättchen sind sitzend, länglich-verkehrteiförmig, im oberen Drittel am breitesten. Der Blattrand ist ungleich kerbig gesägt. Die Blüten stehen in reichblütigen, steif aufrechten Rispen. Der Kelch ist ungleich fünflappig. Meist fünf Kronenblätter, 10-15 mm lang, weiß mit gelbem, später rotem Saftmal. Staubblätter meist sieben, aufwärs gekrümmt, viel länger als die Kronenblätter. Frucht eine gelbgrüne, weichstachelige, kugelige Kapsel, bis 6 cm im Durchmesser. Der flach-kugelige Samen hat eine glänzend braune, mit gelblichweißem Nabelfleck versehene Schale. Blütezeit: April bis Mai.
Die Heimat des bei uns allbekannten Zierbaumes ist Nordgriechenland und der Kaukasus. Durch die Kultur ist er weit verbreitet. In Europa geht er nördlich bis zu den Britischen Inseln, Dänemark, Skandinavien, Rußland.
Die Samen stellen ein wertvolles Mastfutter dar, das z. B. für Wildfütterung verwendet wird. Der Baum kann ein Alter von 200 Jahren erreichen.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die erste Abbildung und Beschreibung der Roßkastanie findet sich bei Matthiolus (1565), der aus Konstantinopel einen Fruchtzweig zugesandt erhielt. Schon lange vorher hatten die Türken die Früchte als Heilmittel für dämpfige Pferde angewendet. Viele Ärzte (Coste, Willemet, Desbois de Rochefort) glaubten in der Rinde ein Ersatzmittel für die Chinarinde gefunden zu haben, aber Bourdier und Caillard entkräftigten diese Ansicht. Sie ist sehr giftig für Daphniden, weniger für Regenwürmer.
Wirkung
Lonicerus (Lonicerus, Kreuterbuch, 1564, S. 94.) hält Eß- und Roßkastanien bezüglich ihrer Wirkung nicht auseinander (vgl. daher bei Castanea vesca).
Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 67.) weiß von der Roßkastanie nur zu berichten, daß ihre Früchte "den keichenden Rossen sehr behülfflich" seien.
Die Kastanienrinde wurde nach v. Haller (v. Haller, Medicin. Lexicon, 1755, S. 336.) in der Armenpraxis als Ersatz der Chinarinde gegen "kalte Fieber", außerdem als Schnupftabak zur Stärkung der Augen und gegen Lidzucken verwandt.
Auch Hufeland (Hufeland, Enchir. med., S. 88; Journal Bd. 21, III., S. 188.) rühmt die Rinde, noch mehr aber die Früchte, als "selbst die China übertreffendes Mittel" bei asthenischen Hämorrhagien, insbesondere des Uterus und der Hämorrhoiden, bei chronischen Diarrhöen, Fluor albus, bei Schleimhusten und pituitöser Phthisis.
Hecker (Hecker, Pract. Arzneimittell., 1814, Bd. 1, S. 350.) stellt die Kastanienrinde hinsichtlich ihrer Wirkung bei Wechselfieber neben die Weidenrinde.
Stephenson und Churchill (Stephenson und Churchill, Medical. Botany, Bd. 2, S. 68, London 1880.) halten dagegen noch eine Nachprüfung der Wirkung gegen Intermittens für nötig, außerdem empfehlen sie das Dekokt der Rinde zu Waschungen bei Gangrän.
Als Schnupfmittel bei Migräne wird Kastanienpulver von Osiander (Osiander, Volksarzneymittel, 1829, S. 35.) aufgeführt.
Clarus (Clarus, Handb. d. spec. Arzneimittell., 1860, S. 471.) verordnet die Rinde als Adstringens.
Von dem aus der Rinde hergestellten Aesculin wurde bei Sumpfwechselfieber (Durand, Gaz. des Hôp. 1853, S. 55.) und intermittierenden Neuralgien (Monvenoux, Journ. de Brux. 1858, Bd. 27, S. 529.) erfolgreich Gebrauch gemacht (z. B. wurden von 28 Wechselfieber-Patienten 18 durch Gaben von 2 g Aesculin in Zuckerwasser, auf zweimal genommen, geheilt).
Das ätherische Öl aus den Früchten rühmten Genevoin und Masson (Genevoin u. Masson, Bull. de Thérap. 1858, Bd. 55, S. 217.) als Topikum bei Gicht und Rheumatismus.
de Vevey (Artault, de Vevey, Rev. de thérap. méd. chirurg., 1896; ibid., 1900; Anjou médical 1909.) stellte fest, daß die Roßkastanie bei der Behandlung von Hämorrhoiden und Krampfadern gute Wirkung entfalte. Durch eine spezifische Wirkung auf die Gefäßwandungen komme es zur Schrumpfung der Knoten. Er führt diese Wirkung auf das anästhesierend wirkende saponinartige Argyrin zurück. Er sah mit Aesculus auch günstige Resultate bei der Hämoptyse, die von Tracheavarizen herrührte oder von der passiven Kongestion mit Milzstauung. Diese Wirkung könnte nach ihm ebenso durch eine Beeinflussung der Gefäßwandungen wie auch durch einen hämolysierenden Saponineffekt bedingt sein, welcher die Viskosität des venösen Blutes herabsetzte und den Kreislauf erleichterte.
Leclerc (Leclerc, H., Précis de Phytothérapie, S. 97, Paris 1927.) sah auch bei Prostatahypertrophie gute Wirkung.
In neuerer Zeit hat sich Bohn (Bohn, Heilwerte heim. Pflanzen, S. 64.) mit den Heilkräften der Kastanie befaßt, der sie als ein Heilmittel bei katarrhalischer Veranlagung bezeichnet.
Die Volksmedizin bedient sich der Roßkastanien gegen Hämorrhoidal- und Uterusblutungen, chronischen Darmkatarrh und chronische Bronchitis (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 202.), sowie gegen Rheumatismus (Dahlke, Ges. Arzneimittell., S. 20.). In der lettischen Volksmedizin werden getrocknete Kastanienblüten mit Spiritus extrahiert gegen Knochenschmerzen gebraucht (J. Alksnis, in Histor. Studien aus d. Pharm. Inst. d. Univ. Dorpat, Bd. IV, S. 193, Halle 1894.).
Hahnemann (Hahnemann, i. Hufelands Journal, Bd. 2, S. 547.) verordnete Aesculus bei spastischer Engbrüstigkeit. Hämorrhoiden, Nasenrachenkatarrh, gichtisch-rheumatische Leiden und interkurrente Anginen luetischer Natur (Vgl. 15; Hughes-Donner, Einf. i. d. hom. Arzneimittell., S. 62.) zählen zu den wichtigsten Indikationen der homöopathischen Schule.
Die Samen enthalten als vorwiegend wirksame Bestandteile u. a. Fuercitrin (Rochleder, Sitz.-Ber. Wien. Acad. Math.-Phys. Cl. 1858, Bd. 33, S. 365.), ein glykosidisches Saponin (etwa 10%) (v. Schulz, Arb. Pharm. Inst. Dorpat 1896, Bd. 14, S. 107.), einen Bitterstoff, der in saponinartiges Argyrenetin (Argyrin) und Glukose aufgespalten wird, und Spuren von Aesculin (Klein u. Linser, Planta 1932, Nr. 15, S. 767; österr. Botan. Ztschr. 1930, Nr. 79, S. 125 (C. C. 1930).), die Samenschale kristallisiertes Tannin (Masson, Bull. Sc. Pharm. 1918, Bd. 25, S. 65.) und das Enzym Aesculinase (Sigmund, Monatsh. Chem. 1910, Bd. 31, S. 657.), die Rinde die Glykoside Aesculin (Stokes, J. Chem. Soc. 1858, Bd. 11, S. 17.) (das selbst in millionenfacher Verdünnung noch blau fluoresziert) (Kobert, Lehrb. d. Intoxik., S. 663.) und Fraxin (Vgl. 23).), Gerbsäure (Vgl. 18), 1. c. 1866.), Gerbstoff (1,87%) (v. Höhnel, Gerberrinden, S. 115.) und Allantoin (Schulze u. Boßhard, Z. Physiol. Chem. 1885, Bd. 9, S. 420.).
Dieses Allantoin erhöht die Muskelerregbarkeit und wirkt xanthinähnlich (Baldi, La Terapia moderna 1891, Nr. 12.).
Der Gehalt an Aesculin (das in allen Teilen des Baumes nachgewiesen wurde, am meisten in der Rinde und in den Knospenschuppen) steigt mit dem Alter des Baumes (Vgl. 20).).
Nach Peipers (Zit. nach K. Müller, Zeitgenössisches medizinisches Herbarium der tschechoslowakischen Flora Prag 1933.) Erfahrungen verhindert die Rinde die Fäulnis und Zersetzung organischer Stoffe in starkem Maße.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Litauen: Die Rinde gegen Dysenterie, die Fruchtschalen gegen Malaria, die Blütentinktur äußerlich gegen Rheumatismus.
Polen: Die Rinde und Blüten gegen Hämorrhoiden und Uterusblutungen.
Tschechoslowakei: Die geriebenen Früchte kocht man gegen Magenschmerzen (1). Gegen Diarrhöe trinkt man die als Kaffee zubereiteten Früchte (Mähren) (2). Die Blüten in Alkohol angesetzt, geben uns Tropfen, die man stellenweise in č.-Schlesien gegen Magenkrämpfe und Ohnmacht verwendet (3, 4). Die Rinde ist als ein Fiebermittel und als Medizin gegen Magenkrankheiten bekannt (5).
Literatur: (1) Koštál, 1901, 301; (2) Mor. Slov. II, III, 761; (3) Krčmář, Ros. Chmel. 1904, 133; (4) Svěrák, Věstník Matice Opavské 1901, č. 9, 22; (5) Polívka, Květena II. 306.Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Aesculus hippocastanum, das bevorzugte Mittel der alten Ärzte für die "hämorrhoidale Konstitution", wird auch heute noch gern gegen Hämorrhoiden innerlich und äußerlich (als Suppositorien) angewandt. Es findet allgemeine Anwendung bei Pfortaderstauungen, Abdominalplethora und Varizen.
Weiter wird es angewandt bei Gallenstauungen, Hyperazidität und Aziditätsschwankungen, bei jeglicher Milzbelastung, Mastdarmvorfall. Es reguliert chronische Verdauungsstörungen und wird gern angewandt sowohl bei Obstipation als auch chronischem Darmkatarrh, Durchfall, Magenschwäche, toxischer Gastritis und Afterzwang. In drei Fällen von Afterfissuren wurde nach innerlicher Behandlung mit Aesculus Oligoplex und Paeonia Oligoplex und äußerlicher Anwendung von Hamamelisessig und Apodochmonsalbe in 8 Tagen Heilung erzielt.
Auch bei Uterusblutungen scheint es wirksam zu sein.
Aesculus ist ferner indiziert bei Nasenrachenkatarrh mit hartnäckigem Kratzen und Brennen im Halse, besonders nach Angina, Nasenpolypen, follikulärer Pharyngo-Laryngitis mit Obstipation und hämorrhoidalen Beschwerden, bei katarrhalischen Zuständen der Bronchien und Luftröhre, aber auch bei Gicht, Rheuma und Lumbago wird es innerlich und äußerlich verordnet. Die Bäder gegen Rheuma werden in der Weise zubereitet, daß man möglichst fein zerkleinerte Kastanien mit Wasser aufkocht, dem Bade zusetzt und das Ganze mit einer Holzkelle schaumig schlägt. Die Bäder gegen Hautausschläge läßt Kleine, Wuppertal, aus Blättern herstellen.
Das alte Volksmittel, Kastanien gegen Rheuma und Gelenkrheumatismus in der Tasche zu tragen, ist noch im Gebrauch.
Als Wechselmittel werden gern gegeben: Nux vomica, Paeonia und Hamamelis.
Donner, Berlin, verordnet je nach Umständen als Wechselmittel: Nux. vom. D 6, Sepia D 6 oder Sulfur D 6.
Angewandter Pflanzenteil:
Matthiolus erwähnt nur die Früchte als Heilmittel für Pferde.
Nach v. Haller wurde hauptsächlich die Rinde verwendet.
Hufeland nennt Rinde und Früchte.
Hecker kennt nur die Verwendung der Rinde.
Nach Geiger waren Rinde und Frucht offizinell als Cortex und Fructus Hippocastani seu Castaneae equinae.
Bohn spricht von der Verwendung der Rinde, Blüten und Blätter.
Auf Grund der in der Rinde enthaltenen Wirkstoffe (Aesculin ist weitaus am meisten in der Rinde nachweisbar, vgl. Wirkung) wird das "Teep" aus der frischen, im Herbste gesammelten Rinde hergestellt. Homöopathische Essenz nach dem HAB.: 1. frische geschälte Samen (§ 3); 2. frische Blüten (§ 2).
Dosierung:
- Übliche Dosis:
In der Homöopathie:
Maximaldosis:
Rezepte:
Bei Enteritis und Diarrhöe (nach P. Flämig):
- Rp.:
Bei Katarrhen der Atmungsorgane (nach Bohn):
- Rp.:
Bei Gicht (nach Meyer):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.