Cetraria islandica. Isländisches Moos. Lichenes.
Name: Cetrária islándica (L.) Ach. (Lichen islandicus L., = Lobaria islandica Hoffm). Isländisches Moos, Isländische Flechte, Blätter-, Lungenflechte, Feuerkraut, Fiebermoos. Französisch: Lichen d'Islande; englisch: Iceland Moos; dänisch: Islandsk Mos; litauisch: Islandų kerpis, kerpena islandiné; polnisch: Plucnik, Mech islandzki; russisch: Islandskij moch; tschechisch: Lišejník islandský; ungarisch: Izlandi zuzmo.
Namensursprung: Cetraria wird abgeleitet von cetra = kleiner Lederschild, wegen der schildartigen Form der Apothezien; lichen vom griechischen λειχ_ν (leichen) = Flechte, λειχείν (leichein) = lecken, streifen, wegen des kriechenden Wachstums auf der Oberfläche von Erde, Steinen und Bäumen. Das "Isländische Moos", das bekanntlich kein Moos, sondern eine Flechte ist, hat seinen Namen noch aus der Zeit, wo man unter "Moose" alle blattähnlich ausgebildeten Kryptogamen zusammenfaßte; die Bezeichnung "Isländisches" rührt nicht daher, daß die Flechte etwa nur in Island vorkäme, sondern, daß die Isländer zuerst das "fjällagrös" (Felsengras) medizinisch verwandten.
Botanisches: Die weit bis in den Norden gedeihende Flechte mit fast laubartigem bis 15 cm langem Thallus, der auf der einen Seite grünlich-braun, auf der anderen grauweißlich gefärbt und mit verstreuten, weißen, vertieften Flecken besetzt ist, bedeckt dort fast als einzige Pflanze den kärglichen Boden und dient den genügsamen Renntieren als Futter. Cetraria ist, wie alle Flechten, ein mit einer Alge in Symbiose lebender Pilz; zwischen Pilz und Alge findet ein Stoffaustausch statt, der beiden Komponenten zum Vorteil gereicht. Die Flechten können ungefährdet monatelang eintrocknen und sind auch in der Lage, Wasser aus dem Dampfgehalt der Luft aufzunehmen. Cetraria enthält zwei Flechtensäuren, Cetrarsäure und Protolichesterinsäure.
Geschichtliches und Allgemeines:
In Norwegen und Island ist das Isländische Moos schon seit frühesten Zeiten als Heil- und Nahrungsmittel in Gebrauch. Nach Olafsen gebrauchte man in Ostisland und anderen isländischen Provinzen die am Feuer getrocknete und zerstoßene isländische Flechte als Ersatz für Getreide und kochte daraus Grütze. Von den Botanikern des Mittelalters wird die Pflanze zum ersten Male von Valerius Cordus als "Muscus crispae Lactucae similis" erwähnt. Die erste Abbildung bringt Breyne (1672) mit der Bezeichnung "Muscus Eryngii folio". Bartholin (1671) beschreibt sie unter dem Namen "Lichen islandicus", und hält sie, jedoch nur im Frühjahr, für purgierend. Die erste chemische Untersuchung unternahm Hjärne (1744), der sie mit Olaus Borchius als Arzneimittel empfahl.
Eine sehr verbreitete Alpensage erzählt, daß das Isländische Moos, ebenso wie die Renntierflechte, einst ein saftiges Kraut gewesen, aber infolge des Übermutes der Sennen verwunschen worden sei.
Wirkung
Hufeland (Hufeland, Journal, Bd. 31, IV., S. 128, Bd. 32, IV., S. 81, 91, V., S. 37, VI., S. 21, Bd. 33. IV., S. 88, 90, Bd. 35, III., S. 29, 41, 52, IV., S. 80, Bd. 48, II., S. 29, III., S. 62, VI., S. 10.) und seine Mitarbeiter schätzten das Isländische Moos sehr bei Lungentuberkulose, Empyem, Pertussis und Tussis, aber auch bei Diarrhöen und Typhus.
Hecker (Hecker, Pract. Arzneimittell., 1814 Bd. 1, S. 240.) schreibt ihm nährende und tonische Eigenschaften zu und läßt es daher bei Abmagerung anwenden, die mit erhöhter Reizbarkeit einhergeht, z. B. nach heftigen Krankheiten, nach Blut- und Säfteverlust, starker Anstrengung usw. In phthisischen Fiebern, die durch innere Vereiterung entstehen, soll es noch "vorzügliche Dienste" leisten, vor allem aber gegen Lungensucht, chronische Bronchialkatarrhe und Keuchhusten, ferner gegen Ruhr und Diarrhöen, Fluxus coeliacus, schleimige Hämorrhoiden, Ulzera im Darmkanal, Blasenkatarrh und Harnruhr wirksam sein.
Clarus (Clarus, Handb. d. spec. Arzneimittell., 1860, S. 376.) führt die Heilwirkung des Isländischen Mooses darauf zurück, daß es die Magensaftsekretion fördere, abnorme Gärungsprozesse beseitige, die Sekretion der Schleimhäute der Respirationsorgane steigere und schwache Nährkraft besitze.
In der Volksmedizin wird Cetraria islandica bei Tuberkulose gebraucht, und zwar in der atonischen, nicht aber in der kongestiven, zu Blutungen neigenden Form.
Schulz (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 31.) schreibt zwar, daß die Tuberkulose durch das Moos nicht direkt beeinflußt, wohl aber Appetit und Allgemeinbefinden deutlich gehoben und gebessert wurden. Auch als Volksmittel bei Nieren- und Blasenentzündungen mit schleichendem Charakter wird es verwandt.
Die tschechische Volksmedizin kennt das Isländische Moos als Mittel gegen Schwindsucht, Blutsturz, Husten, Durchfall, Ruhr, zu starker Menstruation und Blutungen aller Art. Die pulverisierte Droge wird als Wundstreupulver verwendet (Veleslavín 1596, 375 d; Morávek, Rostlinná léčiva 1904, 95.).
Bohn (Bohn, Heilwerte heim. Pfl., S. 49.) empfiehlt Lichen islandica als Heilmittel bei Patienten mit asthenischer Konstitution, die zur Lungenschwindsucht führt, und als Anregungsmittel der Milchsekretion, warnt jedoch, das Mittel bei Entzündungen zu geben.
Leclerc (H. Leclerc, Précis de Phytothérapie, S. 215, Paris 1927.) führt die erfolgreiche Anwendung bei Tuberkulose auf die analeptischen Eigenschaften des Isländischen Mooses zurück.
Bei Wanderniere soll nach Wizenmann (Wizenmann, Heilung u. Heiligung, Bd. 5, S. 1590.) oft eine überraschende Besserung durch den Tee von Cetraria islandica erzielt worden sein.
Fortunatoff (Fortunatoff, Von der Wirkung der Bitterstoffe, Inaug.-Dissert. Petersburg 1884 (aus dem Laboratorium Suszcynski.) studierte die Wirkung der intravenösen Injektion des Cetrarins. Er fand, daß die Drüsentätigkeit von Pankreas und Leber stimuliert wurde. Tschelzoff (Tschelzoff, Zentralbl. f. med. Wissensch., 24, 401, 1886.) stellte in ähnlichen Versuchen fest, daß große Dosen von diesem Bitterstoff die Magensaftabsonderung verzögern, kleine Dosen sie vermehren. In ähnlicher Weise ändert sich auch die Gallensekretion. Ramm (Ramm, in Histor. Studien aus d. pharm. Inst. d. Univ. Dorpat, Bd. II, S. 1, Halle 1890.) kommt in seiner umfangreichen Arbeit über Bitterstoffe auf Grund zahlreicher experimenteller Untersuchungen zu dem Resultat, daß die Amara, darunter auch Cetrarin, in kleinen Dosen in mildester Weise den Magendarmkanal zu Bewegungen anregen und seine Schleimhaut röten, so daß sie bei Chlorose mit Obstipation in doppelter Weise nützlich sind. Bei der Blutuntersuchung stellte er fest, daß bei schwachen chlorotischen Individuen das Cetrarin, in Oblaten zweimal täglich in Dosen von 0,1 g gegeben, die Zahl der Blutkörperchen, sowohl der roten als auch der weißen, zu vermehren imstande ist, und daß für die ersten die maximale Steigerung 19%, für die letzteren 30% beträgt. Dabei beobachtete er, daß der Appetit vortrefflich wurde, der Stuhlgang täglich zweimal erfolgte und von normaler Konsistenz war. Die Wirkung hielt, wenn kein Amarum mehr gereicht wurde, 2-3 Tage an. Der Appetit blieb noch lange Zeit gut, der Stuhlgang war 4-6 Tage lang geregelt.
Für den Bitterstoff Cetrarin liegen die Dosen, die noch Wirkungen erkennen lassen, nahe den letalen. Bei intravenöser Injektion beträgt für Kaninchen, Katzen und Hunde die kleinste tödliche Dosis 0,16 g pro Kilogramm Tier, und zwar kommt es nach heftigen Krämpfen nach 10-16 Stunden zu allgemeiner zentraler Lähmung. 0,15 g rufen noch schwere Vergiftungserscheinungen hervor, die sich in starkem Durchfall, Erbrechen und leichten Krämpfen äußern. Charakteristisch ist die starke Reizung des ganzen Magen-Darmtraktus mit starker Rötung der Schleimhaut und u. U. mit hämorrhagischen Geschwüren. Bei subkutaner Applikation beträgt die tödliche Dosis pro Kilogramm Tier 0,2 g, während bei stomachaler Darreichung erst viel höhere Dosen Vergiftungserscheinungen erzeugen (Jodlbauer, i. Heffter-Heubners Handb. d. exp. Pharm., Bd. 2, 2, S. 1568.). Verfüttert man an Mäuse über einen Zeitraum bis zu acht Tagen Cetraria islandica als "Teep" D 1 in Dosen von 0,25-0,75, so zeigen sich in einigen Fällen, wie ich beobachten konnte, Granulationen in der Leber.
Surmont und Vallée (Surmont et Vallée, C. r. Soc. Biol. Paris 1929, Bd. 101, S. 1129.) beobachteten eine ausgesprochene Wirkung der gleichfalls in Cetraria enthaltenen Fumaroprocetrarsäure gegen Nausea und Erbrechen.
Auch schon von Deguy und Brissemoret (Deguy et Brissemoret, Action antiemétique de la teinture de lichen d'Islande, Journ. des Praticiens 1897.) sowie Guesdon (Guesdon, Le lichen d'Islande, l'acide cétririque, l'acide proto-cétririque: leurs propiétés antiémétiques. Thèse de Paris, 1901.) wurde auf die antiemetische Wirkung bei verschiedenen tuberkulösen Erkrankungen mit Brechhusten, bei Migräne und bei Brechreiz nach Narkosen hingewiesen.
Versuche ergaben, daß die Fumaroprocetrarsäure in der homöopathischen Urtinktur niemals, im "Teep" dagegen stets sehr gut nachweisbar war (Nach eigenen Untersuchungen; vgl. auch H. Schindler, Dtsch. Apoth.-Ztg. 1937, Nr. 39.). Cetraria islandica gehört zu den wichtigsten jodhaltigen Landpflanzen, wie aus folgender Tabelle hervorgeht (Teske, Untersuchungen über den Jodgehalt einiger Arzneipflanzen und über ihr Jodanreicherungsvermögen, Dissertat., S. 20.):
Achillea millefolium | 2,65 %J. | Mentha aquatica | 18,8 %J. |
Arnica montana | 12,15 %" | Mentha piperita | 8,02 %" |
Artemisia dracunculus | 1,62 %" | Rumex acetosa | 21,06 %" |
Cetraria islandica | 52,66 %" | Ruta graveolens | 5,11 %" |
Hyssopus officinalis | 1,39 %" | Tanacetum vulgare | 1,90 %" |
Lamium album | 11,52 %" | Valeriana officinalis | 15,30 %" |
Matricaria chamomilla | 10,27 %" | Verbascum thapsiforme | 4,16 %" |
Melissa officinalis | 15,49 %" |
Die in einer Verwandten des Isländischen Mooses, der Cetraria vulpina, enthaltenen Vulpinsäure wirkt erschwerend auf die Atmung ein und ruft Konvulsionen hervor (Kobert, Lehrb. d. Intoxik., S. 659, Stuttgart 1893.).
Kocht man das Isländische Moos im Verhältnis 1 : 20 mit Wasser, so bildet sich ein Gelee, das auch "gelatina Lichenis islandici" genannt wird. Der bittere Geschmack läßt sich durch Schokolade sehr gut erträglich machen. Eisgekühlt gelöffelt ist dieses Gelee ein sehr beliebtes Erfrischungsmittel bei Diabetes mellitus und anderen Erkrankungen mit Dursterscheinungen.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Bei Erkrankungen der Respirationsorgane.
Litauen: Als Hustenmittel.
Polen: Bei Schwindsucht und Lungenleiden.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Cetraria islandica wirkt als Expektorans bei chronischem Bronchialkatarrh, Husten mit Verschleimung, Pertussis, Krampfhusten und Asthma bronchiale und wird zur Hebung des Allgemeinzustandesbei atonischer Tuberkulose (auch Altertuberkulose im Anfangsstadium, dagegen nicht bei Hämoptyse), Lungenschwäche und Lungenspitzenerkrankung angewandt. Im Gegensatz zu vielen positiven Urteilen schreibt mir allerdings Holtz, Senftenberg, daß er bei Bronchitis keine konstante Wirkung erzielen konnte; dennoch gehört es zu unseren besten Mitteln.
Schematische Darstellung der Häufigkeit der Anwendung verschiedener Heilpflanzen bei:
In seiner Eigenschaft als Tonikum wird Isländisches Moos auch immer erfolgreich bei Erschöpfungszuständenaller Art, insbesondere nach Blutverlust und schweren Krankheiten (auch nach Masern) und Onanie gegeben. Ebenso hat es einen günstigen Einfluß auf Diarrhöen, Enteritis, Gastritis, Dysenterie, Magenverschleimung und Ulcera duodeni (hier wandte Görgens das Mittel im Wechsel mit Polygonum aviculare mehrmals erfolgreich an).
Bei Nierenentzündung wird Cetraria von Müller, Donaustauf (auch von anderer Seite bestätigt), empfohlen. Doch sind die Ansichten über die Anwendung bei entzündlichen Erkrankungen strittig, so warnen Bastian und Steuernthal ausdrücklich vor dem Gebrauch bei akuten Entzündungen.
Schließlich wird es noch als Galaktagogum erwähnt. Wagner will bei altem Ohrenfluß Besserung gesehen haben, und Rudolph nennt es blutreinigend bei Flechten und Ozaena mit starken Ausscheidungen von grünem Sekret. Den kalt angesetzten Tee läßt Hornbacher bei Struma trinken.
Als Expektorans wird Cetraria häufig im Teegemisch mit Farfara, Plantago lanceolata, Althaea und Liquiritia genommen.
Angewandter Pflanzenteil:
Das "Teep" wird aus der ganzen frischen Pflanze hergestellt. Homöopathische Tinktur nach dem HAB.: Getrocknete Flechte (§ 4).
Offizinell in Deutschland, Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Holland, Österreich, Ungarn, Rumänien, Schweiz, Japan, Portugal, Italien, Spanien.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
In der Homöopathie:
Maximaldosis:
Rezepte:
Als Expektorans (F. M. Germ.):
- Rp.:
Bei Schwindsucht, Struma und Nephritis (nach Hornbacher u. a.):
- Rp.:
Bei Husten und chronischem Bronchialkatarrh:
- Rp.:
1 Teelöffel voll wiegt 1,7 g, so daß der Tee mit 1 Teelöffel auf 1 Teeglas heiß zu bereiten ist. Die Peroxydasereaktion ist in beiden Zubereitungsarten negativ.).
Bei Husten (nach Schmidt):
- Rp.:
Als Nahrungsmittel für Phthisiker und Rekonvaleszenten (nach Hager):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.