Chamomilla. Kamille. Compositae.
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Name: Matricária chamomílla L. (= Chrysanthemum chamomilla Bernh., = Leucanthemum chaemaemelum Lam., = Chamomilla vulgaris K. Koch). Echte Kamille, Magdeblume, Deutsche Kamille. Französisch: Camomille, C. vraie, petit camomille; englisch: Wild, german, true oder common chamomile, horse gowan; italienisch: Camomilla, capomilia; dänisch: Kamille; schwedisch: Sötblomster; polnisch: Rumianek; russisch: Ramaszka; tschechisch: heřmánek pravý; ungarisch: Székfüvirág.
Weiteres Vorkommen: Gangesebene. Pandschab. Afghanistan. In Nordamerika (New-York bis Pennsylvanien), Australien eingeschleppt
Namensursprung: Der Gattungsname Matricaria ist vom lateinischen mater, bzw. matrix = Gebärmutter abgeleitet, weil das ursprünglich allein so genannte Chrysanthemum parthenium früher besonders bei Krankheiten des Wochenbettes verwendet wurde. Chamomilla ist umgebildet aus dem griechischen χαμαιμίλον (chamaimelon) von χαμα_ (chamai) = niedrig und μίλον (mélon) = Apfel oder Quitte, also ein niedriger, auf dem Boden wachsender Apfel, nach dem apfelartigen Geruch der runden Blütenköpfchen. Das deutsche Kamille ist ein Lehnwort aus chamomilla.
Volkstümliche Bezeichnungen: Kamellen, Kamellenblome (plattdeutsch), Komellen (Krain: Gottschee), Karnill (Elsaß), Karmille (Schweiz), Gramille (Baden, Thurgau). Zahlreiche Benennungen sind volksetymologisch (z. B. an Kuh und Melde, Kammer, Kummer) angelehnt, z. B. Kühmelle, Kumälle (Thüringen), Kumölln (Egerland), Kammerblumen (Nordthüringen), Kummerblumen (Ruhla). Besonders dem Ostmitteldeutschen sind folgende Formen eigen: Hermel (z. B. Meißen, Nordböhmen), Hälmerchen, Hälmrichen, Hermichen (erzgebirgisch), Hermeisel, Hermeizel (Nordböhmen), Harmchen (Altenburg), Hermannl, Hermännln (Nordböhmen). Alle diese Bezeichnungen gehen wohl auf "Kamille" zurück und sind teilweise volksetymologisch (Anlehnung an den Personennamen Hermann) umgebildet. Ursprünglich für die Römische Kamille galten Romer (Ostpreußen), Römerei, Riemerei (Schlesien). Nach dem Geruch heißt die Kamille Äpfelblümli (Baden), Äpfel-Chrut (Bern, Graubünden), Öpfelbluemli (Luzern), Moschkaitreashle, Muskatblume (Krain: Gottschee). Die Pflanze wird bekanntlich allenthalben im Volke zu einem Tee (besonders bei Krankheiten der "Mutter") verwendet, daher Teeblom (Selsingen bei Stade), Moderkraut (untere Weser), Muttakraut (Egerland), Mueterreashlain, Mutterblume (Krain: Gottschee).
Botanisches: Das einjährige Kraut mit dünner Wurzel hat einen ästigen, aufrechten oder ausgebreiteten, kahlen Stengel von 20-50 cm Höhe. Die wechselständigen Blätter sind ungezähnt und doppelt-fiederteilig, mit schmal-linealischen, flachen, entfernten Zipfeln. Die ziemlich langgestielten Blütenköpfe sind endständig. Die gelben Scheibenblüten haben einen fünfzähnigen Saum. Die weißen Zungen der Randblüten sind länger als die Hüllblätter. Der walzlig-kegelförmige, 5 mm hohe und 1 ½ mm dicke Blütenboden ist hohl. Während die 12-18 Randblüten nur weiblich sind, sind die Scheibenblüten zwittrig. Die Früchte (Achänen) tragen keine Federkrone. Blütezeit: Mai bis August. Auf Äckern und an Wegrändern ist die Pflanze nicht selten. Heimat: Europa. Himmelbaur stellte in bezug auf ihr Verhalten auf Böden mit verschiedenem Kalkgehalt fest, daß Chamomilla Böden von pH 6,4-8,1 mit einem deutlichen Optimum zwischen pH 7,3 und 8,1 verträgt. Sie bevorzugt sodahaltigen Boden.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die Kamille ist seit alters her ein beliebtes Heilmittel, besonders der aus den getrockneten Blütenköpfen bereitete Tee. Schon Galen und besonders Asclepios besprechen den Kamillentee sehr ausführlich. Nach Dioskurides sind Kamillenbäder und -umschläge ein Mittel gegen Kopfweh, Leber-, Nieren- und Blasenleiden; ferner erwähnt er die Pflanze auch als Emmenagogum. Den nordischen Völkern war die auf Grund der gelben Blütenscheibe mit der Sonne verglichene und daher dem Sonnengott Baldur zugehörige Kamille heilig, deshalb verknüpften sich im Mittelalter viele abergläubische Vorstellungen mit ihr. Man glaubte, daß sie am wirksamsten sei, wenn sie am Johannistage gepflückt würde. Ihre Heilkraft sollte so groß sein, daß es genügte, sie neben eine andere kranke Pflanze zu setzen, um dieser neue Lebenskraft zu verleihen. Die Verwendung der Kamille als Heilpflanze war im Mittelalter allgemein dieselbe wie im Altertum und hat sich bis heute kaum verändert. Die Duftwirkung der Kamille ist so groß, daß durch mehrmaliges Abwaschen oder Eintauchen von Fleisch u. a. in Kamillentee selbst ziemlich starker Fäulnisgeruch verschwinden. Sehr beliebt sind die Kamillen als Haarpflegemittel zur Erhaltung der Blondheit der Haare.
Wirkung
Die zu allen Zeiten als Heilmittel geschätzte Kamille wurde schon von Paracelsus (Paracelsus Sämtl. Werke, Bd. 2, S. 70, 97, 98, 576, Bd. 3, S. 142, 556.) gegen Grimmen, Gelbsucht, Fieber, Kopfschmerz, bei Krebs und Geschwüren (zum Reinigen der Wunde und auch innerlich) empfohlen.
Als Resolvenz und schmerzstillendes Mittel verordnet sie Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 54.), der von ihr rühmt: "Es ist bei allen Menschen kein breuchlicher Kraut in der artzney als eben Chamillenblumen / denn sie werden beinahe zu allen bresten gebraucht."
Von den zahlreichen Indikationen, die Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 309.) für die Kamille angibt, seien hier aufgeführt: Menstruationsstockungen, Harnstein, Blähungen, Magenerkältung, Schmerzen in Magen, Därmen, Niere, Blase und Uterus, innere Geschwülste, Leber- und Milzverstopfung, Gelbsucht, Asthma, Lungenabszeß, Epilepsie, Darmkolik, Kröpfe. Äußerlich läßt er sie vorwiegend bei Geschwüren und Geschwülsten, alten Wunden, Hämorrhoiden und entzündeten Augen anwenden. Das Kamillenöl "dienet sonderlich wol wider den Krampff" als erweichendes und linderndes Mittel.
v. Haller (v. Haller, Medicin. Lexicon, 1755, S. 384.) schreibt den Kamillen nervenstärkende, grimmen- und schmerzenstillende, harntreibende, zerteilende und erweichende Kraft zu. Mit der Cascarillarinde wird die Kamille von Hecker (Hecker, Pract. Arzneimittell., 1814, Bd. 1, S. 270.) verglichen, der ein ausgedehntes Wirkungsgebiet von ihr aufzeigt. So sollen mit Flores Chamomillae Wechselfieber geheilt worden sein, gegen welche sogar China nichts auszurichten vermochte. Auch bei asthenischen Fiebern, wie Faul-, Nerven-, gastrischen Fiebern, bei chronischen Katarrhen, Rheumatismus, Gicht und Steinbeschwerden, Diarrhöen und Dysenterie werden sie von Hecker verordnet und bei Nervenkrankheiten, besonders Krämpfen und Schmerzen, als vorzügliches Mittel bezeichnet.
"Baglioi hielt sie für ein souveränes Mittel in allen Kolikschmerzen, und wirklich tun sie in hämorrhoidalischen, rheumatischen, hypochondrischen, hysterischen und Blähungskoliken oft große Dienste, besonders werden sie aber gegenwärtig in allen krampfhaften Übeln, welche in bezug auf Menstruation, Niederkunft und Wochenbetten stehen, verordnet." Er rühmt sie weiter gegen Epilepsie, Hysterie und Hypochondrie, als magenstärkend und blähungtreibend, als tonisch und reizend in kachektischen Krankheiten, insbesondere chronischen Hautkrankheiten, bösartigen Ulzerationen und Karzinom, lokal als fäulniswidriges Mittel bei Erysipel und Abszessen. Ein konzentrierter lauwarmer Aufguß soll das Brechen oft ungemein erleichtern.
Sehr geschätzt wurde die Kamille auch von Hufeland (Hufeland, Enchir. med., S. 73, 87, 195, 260, 261, 428, 450.); sein Mitarbeiter Collenbusch (Collenbusch, i. Hufelands Journal, Bd. 3, S. 81.) sah gute Erfolge mit Chamomilla bei cancerösen Ulzerationen.
Clarus (Clarus, Handb. d. spec. Arzneimittell., 1860, S. 1115.) betrachtet sie als gutes Antispasmodikum, Exzitans und Sudoriferum, das Öl als dienlich bei Migräne, die mit Hirnanämie zusammenhängt.
Von den Ärzten der neueren Zeit betrachtet Bohn (Bohn, Heilwerte heim. Pflanzen, 1920, S. 51.) die Kamille als "ausgesprochenes Frauenmittel", das bei Koliken und Krampfschmerzen des Uterus und der umgebenden Organe angewandt wird und auch während Gravidität, Geburt und Wochenbett, beim Stillen und bei den Säuglingen selbst krampfstillend wirkt.
Bei Krämpfen ist nach Wizenmann (Wizenmann, Heilung und Heiligung, 1930, Bd. 4, S. 1407.) besonders eine Mischung von Kamille und Potentilla anserina zu empfehlen, und zwar soll die letztere in Milch gekocht und dann dem Kamillentee zugesetzt werden.
Bei Fluor albus erzielte Pinkus (Pinkus, D. m. W. 1927, Nr. 22, S. 916.) gute Erfolge mit einer Mischung von Chamomilla und Salvia. Heiße Kamillenbäder bewährten sich Krecke (Krecke, M. m. W. 1926, Nr. 10, 16, S. 393, 680.) und Arnold (Arnold, M. m. W. 1926, Nr. 19, S. 767.) gegen septische Infektionen und Karbunkel.
Auf die im Volke sehr häufige und beliebte Anwendung der Kamille hatte schon Osiander (Osiander, Volksarzneymittel, 1829, S. 52, 57, 61, 69, 75, 130, 174, 204, 210 u. a.) hingewiesen; die heutige Volksmedizin schätzt sie nicht weniger und gebraucht sie bei leichteren Magendarmkatarrhen mit Kolikschmerzen, bei Leibschmerzen kurz vor Eintritt der Menses; lokal zum Aufstreuen auf juckende und nässende Ekzeme, Impetigo capitis, zur Wund- und Fistelbehandlung (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 243.).
In der russischen Volksmedizin wird nach v. Henrici (v. Henrici, in Histor. Studien aus d. pharm. Inst. d. Univ. Dorpat, Bd. IV, S. 12, Halle 1894.) die Kamille wohl ebenso häufig angewendet wie in allen anderen Ländern. Zusammenfassend sagt er, daß folgende Indikationen im Volke beliebt sind: 1. schmerzhafte Menstruation, und überhaupt Frauenkrankheiten, 2. Koliken und Magenspasmen, 3. Nerven- und Wechselfieber, 4. äußerlich gegen faulende Geschwüre.
Nach Leclerc (Leclerc, Bull. de la Soc. de thérap., 1923.) sind die Erfolge der Kamillenbehandlung bei Gesichtsneuralgie der Anämiker am größten, was schon 1854 durch Lecointe angegeben worden sei. Leclerc berichtet u. a. von zwei Krankheitsfällen, in denen er mit der Kamille sehr gute Erfolge hatte. Bei dem ersten handelte es sich um eine Kranke, die vor der Menstruation heftige Migräne hatte, und zwar einen starken Schmerz über den Augenhöhlen und das Gefühl eines Nagels am Hinterkopf. Nachdem sie einen starken Kamillenaufguß getrunken hatte, ließen die Schmerzen jedesmal in weniger als einer Stunde nach. Der zweite Fall betraf einen jungen Literaten, der durch Überanstrengung Schmerzen im Bereiche des Nervus ophthalmicus, begleitet von Lichtscheu und Krämpfen, hatte; auch hier erreichte er durch das Pulver der Kamillenblätter eine bedeutende Besserung. Die Römische Kamille, Anthemis nobilis, zeigt nach Leclerc bei dysmenorrhöischen Beschwerden und anderen Indikationen fast die gleiche Wirkung wie die Matricaria chamomilla, doch gibt er der letzteren den Vorzug, weil sie eine schnellere und konstantere Wirkung hat.
Nach Ripperger (Ripperger, Grundlagen zur praktischen Pflanzenheilkunde, S. 348, Stuttgart/Leipzig 1937.) eignet sich jedoch die Römische Kamille besser zur Erhaltung und Pflege des natürlichen schönen Schimmers blonder Haare als viele andere Mittel.
Die Kamille entfaltet durch ihr ätherisches Öl eine starke entzündungshemmende Wirkung, die auf einer Verengerung der durch den Entzündungsprozeß erweiterten Kapillaren beruht (Arnold, Naunyn-Schmiedebergs Arch. 1927, Bd. 123, Nr. ¾, S. 129.).
Heubner und Grabe (Heubner u. Grabe, Naunyn-Schmiedebergs Arch. 1923, Bd. 171, S. 329.) untersuchten verschiedene Fraktionen des ätherischen Kamillenöles auf ihre entzündungswidrige Wirkung. Als Teste dienten die Senfölchemosis am Kaninchenauge, Lichtererytheme an Mensch, Ratte und Schwein. Es ergab sich, daß besonders die tiefblaue Fraktion vom K.P. 11 mm 150-200° C biologisch wirksam ist. Der blaue Kohlenwasserstoff, Azulen (C15H18), von bisher unbekannter chemischer Struktur, wurde nach bekannten Methoden isoliert und als der einzige entzündungswidrige Anteil des Öles befunden. Azulen kommt präformiert in den Kamillenblüten vor. Es ist gegen Luft und Licht hinreichend beständig.
Ein in Chamomilla enthaltenes Glykosid (3%) wirkt auf die vegetativen Nervenenden ein und lähmt die glatte Muskulatur, also auch die von Uterus und Darm (Junkmann u. Wiechowski, Naunyn-Schmiedebergs Arch. 1929, Bd. 146, S. 1.), wodurch die die Fortbewegung der Darmgase hemmenden Spasmen gelockert werden. Hieraus erklärt sich die krampflösende und blähungstreibende Wirkung der Kamille.
Bei intravenöser Injektion wird der Blutdruck gesenkt (Vgl. 15).).
Steinmetzer (Steinmetzer, Wien. kl. Wschr. 1926, S. 49.) beobachtete eine Verdoppelung der Gallensekretion durch Kamille.
Außer den schon erwähnten Bestandteilen enthält die Kamillenblüte Salicylsäure, Apigenin, Umbelliferon und Harz mit Phytosterin, verschiedene Fettsäuren; das ätherische Öl enthält außer dem blauen Kohlenwasserstoff Azulen u. a. Sesquiterpen (Wehmer, Die Pflanzenstoffe, S. 1241.).
Peyer (W. Peyer, Dtsch. Apoth.-Ztg. 1937, Nr. 16.), der sich besonders eingehend mit der Bestimmung des Kamillenöls in der Kamille beschäftigt hat, kommt zu dem Ergebnis, daß das Blauöl nicht fertig in der Pflanze vorliegt, sondern erst zu seiner Bildung des Wasserdampfes bedarf. Beim Extrahieren der Droge mit Pentan- oder Petroläther ist nur ein gelbliches Öl zu isolieren. Wie das Blauöl zustande kommt, ist noch ungeklärt. Fermentative Vorgänge (Ruhemann und Lewy) und bakterielle Einflüsse (Heubner und Grabe) scheiden aus. Nach Hartwig und Jama soll im Blütenboden der Kamille ein grünliches Öl enthalten sein, im Fruchtknoten und den Röhrenblüten das Blauöl. Peyer untersuchte auch den Konservierungsvorgang der ätherischen Öle bei den Milchzuckerverreibungen der Blüten ("Teep"). Eine zwei Jahre bei ihm gelagerte "Teep"-Probe enthielt noch 1% Blauöl mit grünlichem Schein.
Die Kamillenblüten sollen die Wundheilung fördern, wenn man sie äußerlich in Pulverform aufstreut. In der Praxis zeigte es sich, wie ich feststellen konnte, daß offene Beinwunden zum Teil sogar ungünstig nach dem Einstreuen des Blütenpulvers reagieren. Bei der Nachkontrolle in Tierversuchen fand ich, daß künstliche Wunden bei Mäusen gegenüber den nichtbehandelten Kontrollen in keiner Weise eine beschleunigte Wundheilung zeigten, wenn man Chamomilla "Teep" aufstreute. Bei schmerzhaften, eiternden Wunden hingegen scheint Chamomilla, wenigstens beim Menschen, sehr gut zu wirken. Im Abheilungsstadium verwendet man besser andere pflanzliche Mittel, z. B. Hamamelis.
Wie Arnold (Arnold, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 1927, Bd. 123, H. ¾.) in vergleichenden Untersuchungen bei künstlichen Entzündungen feststellte, wirkten Kamilleninfuse äußerst günstig, etwas schwächer wirkten Pfefferminz und entgegengesetzt entzündungsverstärkend Fencheltee. Es handelte sich bei diesen Entzündungen um solche, die durch Senföl, Höhensonne und Tuberculin hervorgerufen waren.
Da die Droge in Deutschland in nicht ausreichendem Umfange gesammelt wird (etwa 35 000 kg) und im Jahre 1932 allein aus Ungarn 330 000 kg eingeführt wurden, so ist der Vorschlag aufgetaucht, in Deutschland als Ersatz die viel häufiger auftretende Strahlenlose Kamille, Matricaria discoidea, zu verwenden. Während eine ganze Anzahl von Autoren für diesen Ersatz eintreten, sprechen sich Peyer und Ayle gegen die Verwendung aus. Die Droge riecht anders und enthält 0,45% gelbes Öl, welches unangenehm riecht, und keine Spur des von Heubner als wirksamen befundenen Blauöles (W. Peyer, Pflanzliche Heilmittel, S. 16, Berlin 1937.) enthält.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Gegen Krämpfe, Blähungen, Unterleibs- und Magenschmerzen; äußerlich zu Umschlägen, Klistieren und zum Auswaschen von Wunden.
Polen: Als Karminativum, bes. für Säuglinge.
Ungarn: Gegen Magenschmerzen, Hämorrhoiden, Lungen-, Leber- und Nierenaffektionen und Menstruationsstockungen.
Norwegen: Innerlich gegen Kolik und Steinbeschwerden; äußerlich zu Umschlägen bei Magenschmerzen und auf Geschwüre.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Chamomilla ist ein ausgezeichnetes Frauen- und Kindermittel, welches als mildes Nervinum und Sedativum bei spasmophilen Zuständen aller Art und bei mit starken Schmerzen verbundenen Affektionen sehr häufig gegeben wird. Es wird demnach gern gebraucht bei Reizbarkeit, Überempfindlichkeit (Neuralgien, z. B. Trigeminusneuralgien, Rheuma, Lumbago, Zahnschmerzen), Unruhe, Dentitionsbeschwerden, Eklampsie, Dysmenorrhöe, Schwangerschaftsbeschwerden, Metrorrhagie und Koliken. Nach einer Mitteilung von Unger wurde eine heftige, linksseitige Trigeminusneuralgie mit Ozaena und sehr starken nächtlichen Schmerzen auf Chamomilla mehrere Nächte lang deutlich schmerzfrei, bei erfolgloser anderer Therapie.
Sehr bewährt hat es sich bei Erkrankungen des Magen-Darmtraktus insbesondere der Kinder wie Diarrhöen, Magenkrämpfen, Colonspasmen mit Verstopfung, Blähungen, Hyperazidität, Enteritis und Gastritis. Atzrott, Berlin, schreibt: "Es zeigte eine großartige Wirkung bei Kindern bis zu einem Jahr, oft gelang es, spasmophile Zustände im Verein mit Bromum Oligoplex ganz schnell und mit guter Sicherheit zu beseitigen." Kleine, Wuppertal, empfiehlt es als Magen-Darmmittel vorzüglich mit "hohen Einläufen" bei üblem Mundgeruch, der nicht aus dem Magen kommt, sondern durch Fäulnisgase erzeugt wird. Doch auch bei Nieren-, Leber- und Gallenleiden mit starken Schmerzen wird häufig zu der Kamille gegriffen. P. Flämig läßt hier bei Koliken Kompressen von Kamillen und Weizenkleie halb und halb gemischt machen.
Schließlich wird Chamomilla noch gelegentlich als Fiebermittel, z. B. bei Kindbettfieber, bei Ohrenleiden, insbesondere Otitis media, Tussis, Pertussis und nach M. Flähmig gegen die Folgen von Kaffeegenuß genannt. Auch das äußerliche Anwendungsgebiet ist sehr groß. So verwendet man Kamillen oft zu Spülungen bei Schleimhautentzündungen (Scheiden- und Rektumerkrankungen, Pharyngitis) und nach Totzauer, Klösterle, bei Beinhautentzündung des Kiefers. Bei Hämorrhoidalbeschwerden gebraucht man zweckmäßig Bähungen von Kamillen, und bei Konjunktivitis ist ein Augenwasser angezeigt. Weiter werden Kamillen äußerlich bei Geschwülsten, Ulzera, Eiterungen, eiternden und schmerzhaften Wunden*), Karzinom (zur Schmerz- und Geruchslinderung) und feuchten, schwer heilenden Ekzemen (hier das "Teep" zum Aufstreuen) gebraucht. Krug, Ravensburg, behandelte Ulcera cruris lokal durch Aufstreuen des "Teeps" im Wechsel mit Carduus marianus. Schließlich werden bei Schweißfüßen noch Umschläge und Fußbäder von Kamille gelobt. Die Zahnschmerzen kleiner Kinder verschwinden oft prompt durch Gurgeln mit Kamillentee. Bei Schnupfen und Stirnhöhlenentzündung werden Kamillendämpfe sehr gelobt.
Als Wechselmittel können Mentha piperita, Carum carvi, Magn. phosph. und Colocynthis gewählt werden, doch wird das Mittel auch oft allein gegeben.
+) Beispiele für die Anwendung:
I. Fall C. Sch. 45jährige Ehefrau zog sich durch Unfall eine schlecht granulierende Wunde am rechten Knie zu. Patientin klagt über Wundschmerz. Therapie: Chamomilla "Teep" 0 äußerlich. Auf diese Medikation hin ließen die Wundschmerzen nach. Nach einigen Tagen wurde noch Silicea verordnet. Zum Abschluß der Behandlung wurde statt Chamomilla Hamamelispuder angewendet. Dauer der Behandlung 12 Tage. Patientin wurde als geheilt entlassen.
(Nach Bottenberg, "Biologische Therapie des praktischen Arztes", S. 213, 1936.)
II. 30jähriger Gärtner. Diagnose: Chronische Kieferhöhleneiterung rechts.
Vor einem Jahr machte der Kranke eine akute, eitrige Kieferhöhlenentzündung rechts durch, die trotz aller spezialärztlicher Bemühungen nicht zur Abheilung kam, sondern zu dauernden weiteren Beschwerden führte: Mehr oder weniger starke Eiterabsonderung, Kopf- und Gesichtsschmerzen, beeinträchtigtes Geruchsvermögen. Spülungen der Kieferhöhlen durch den behandelnden Arzt hatten nur vorübergehend für die Dauer weniger Wochen erleichtert, dann setzte der alte Zustand wieder ein. Als er zu mir kam, war wiederum eine stärkere Absonderung einer schleimig-eitrigen Flüssigkeit zu verzeichnen. Es bestanden vermehrte Kopfschmerzen, im allgemeinen große Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Unfähigkeit zu arbeiten und zu denken. Behandlung: Ich verordnete eine sehr knappe, ungesalzene vegetabile Basiskost und legte ihm eine Fontanelle im Nacken an. Örtliche Maßnahmen mit Ausnahme von Kamillendämpfen und bei starken Schmerzen Heublumenpackungen der rechten Gesichtshälfte wurde nicht angewandt. Schon nach 14 Tagen war eine gewisse Besserung zu verzeichnen, die Schleimabsonderung wurde geringer, und es trat eine wesentliche Aufhellung im Sensorium ein. Nach 6 Wochen waren subjektive und objektive Erscheinungen abgeklungen und das Geruchsvermögen soweit wieder gebessert, daß der Kranke seine Speisen mit Appetit essen und in seinem Berufe allein durch den Geruch wieder einzelne Blumen voneinander unterscheiden konnte. Rezidive sind in der Zwischenzeit (der Fall liegt jetzt drei Jahre zurück) nicht mehr aufgetreten.
Angewandter Pflanzenteil:
Dioskurides empfiehlt Wurzel, Blüten und Kraut.
Bock gebraucht das Kraut mit den Blüten.
Nach Geiger wurden hauptsächlich die Blüten, weniger das Kraut, benützt v. Haller und Zörnig erwähnen nur die Blüten.
Das HAB. läßt die frische, blühende Pflanze mit Wurzel verwenden (§ 3).
Zur Bereitung der Präparate empfehle ich in erster Linie die frischen Blüten (Sammelzeit Mai bis August), doch kann auch die ganze blühende Pflanze verwendet werden. Das "Teep" wird aus den frischen Blüten hergestellt.
Flores Chamomillae sind offizinell in Deutschland, Österreich, in der Schweiz, in Ungarn, Rußland, Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Italien, Spanien, Portugal, Holland, in den lateinisch-amerikanischen Staaten.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
Maximaldosis:
Rezepte:
Als Nervino-Tonikum, besonders bei Krämpfen und Koliken:
- Rp.:
1 Teelöffel voll wiegt 0,9 g. Da der Tee noch im Verhältnis 1 : 10 trinkbar ist, so kann man bis zu 10 Teelöffel auf 1 Teeglas verwenden. Der Glührückstand beträgt kalt bereitet 0,428% und heiß bereitet 0,456%.).
Als Karminativum (nach Hager):
- Rp.:
Als Karminativum bei Darmkoliken (nach Rost-Klemperer, mod. v. Verf.):
- Rp.:
Species carminativae (Austr. Elench.):
- Rp.:
Bei entzündlichen Erkrankungen der Mundhöhle, Zahnschmerzen der Kinder:
- Rp.:
Zu nervenstärkenden Bädern (nach Dinand):
- Rp.:
Bei Entzündungen und Schweißfüßen äußerlich zu Umschlägen (nach Tschirner):
- Rp.:
Bei Gastritis und Enteritis (nach Tschirner):
- Rp.:
Bei Dysmenorrhöe (nach Meyer):
- Rp.:
Als Beruhigungsmittel (nach Kroeber):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.