Centaurium. Tausendgüldenkraut. Gentianaceae.
Name: Erythraea centaurium Pers. (= Centaurium umbellatum Gilibert, = C. minus Moench, = C. vulgare Raf., = Gentiana centaurium L., = Centaurodes centaurium O. Kuntze, = Chironia centaurium Curt.). Echtes Tausendgüldenkraut. Französisch: Erythrée, petite centaurée, herbe à mille florins, herbe à la fièvre, fiel de terre; englisch: Common centaury, pink centaury; italienisch: Centaurea minore, caccia febbre, biondella, fiel de terra; dänisch: Tusindgylden, Jordgalde; litauisch: Sirdažole; polnisch: Tusiącznik, Centurja; russisch: Zolototysiacznik; ungarisch: Erzeijófü.
Weiteres Vorkommen: Mittelasien, Nordamerika. Nordafrika.
Namensursprung: Die antiken Ärzte unterschieden ein kleines und ein großes Centaurium, von denen das erstere χεντα_ριον τ_ μιχρ_ν (kentaúrion to mikrón) = kleines Kentaurion bei Dioskurides als Centaurium umbellatum gedeutet worden ist. Nach Plinius hat das Centaurion den Namen von dem Centauren Chiron erhalten, der damit die Wunden, die ihm ein auf den Fuß gefallener Pfeil zugefügt hatte, geheilt haben soll. Das kleine Centaurium wird von den Römern "fel terrae" = Erdgalle wegen seines außerordentlich bitteren Geschmackes genannt. Erythraea wird vom griechischen _ρνθαΐος (erythraios) = rötlich nach der Farbe der Blütenkrone abgeleitet. Der deutsche Name Tausendgüldenkraut soll durch ein Mißverständnis entstanden sein. Im Mittelalter versuchte man nämlich, an Stelle der oben angeführten im Altertum gültigen Erklärung, Centaurium in Zusammenhang mit dem lateinischen centum = hundert und aurum = Gold zu bringen. Aus dem "Hundertguldenkraut" wurde dann das volkstümlichere Tausendguldenkraut, das als "tusendguldin" zuerst im 15. Jahrhundert vorkommt und das wohl auf die große Heilkraft der Pflanze hinweisen soll.
Volkstümliche Bezeichnungen: Gottesgnadenkrût (Nordthüringen), Düllhunnskrut (gegen Tollwut) (Lüneburg) und Stoh up und gah weg (Mecklenburg), Unpfennigkraut (gegen das Ung'segnet = Rotlauf) beziehen sich auf die Heilkraft, Gallkraut (Obersteiermark) auf den bitteren Geschmack der Pflanze. Mancherorts (z. B. im Elsaß) ist das Tausendgüldenkraut unter den neun Kräutern, die an Maria Himmelfahrt (15. August) in der Kirche geweiht werden, daher die Benennung Muattergotteschrut (St. Gallen). Im Latein des Mittelalters hieß die Pflanze auch Aurina, daher die niederdeutschen Namen Aurinken, Auriniken, Augerinken, Grinkens (Mecklenburg), Aurin (Wangeroog), Laurin (Ostpreußen), Orinken (Vorpommern), Roturînkrud (Altmark).
Botanisches: Die 10 bis 50 cm hohe ein- oder zweijährige Pflanze ist fast in ganz Europa und in Nordamerika auf Waldschlägen und dürren warmen Grasplätzen zu finden. Die eine grundständige Rosette bildenden Laubblätter sind verkehrt eiförmig, in einen Stiel verschmälert, die an dem vierkantigen Stengel sitzenden sind länglich-eiförmig bis lineallanzettlich und glattrandig. Der gabelästige, doldenrispige Blütenstand trägt rosarote, selten weiße Blüten. Centaurium liebt kalkreichen, lehmigen Boden, paßt sich jedoch auch sandigem und moorigem Boden an. Auf dürrem Boden wachsende Pflanzen sind klein, wenigblütig und haben keine Rosettenblätter, auf gutem Ackerboden wachsende sind jedoch stark verästelt und reichblütig. Claus stellte bei dieser Art Photo-, Thermo- und Seismonastie fest. Die Blüten öffnen sich erst bei 20-22° vollständig und schließen sich abends bei 23-24°. Am Spätnachmittag sind die Blüten gegen ganz geringe Licht- und Temperaturschwankungen wie auch gegen Stoßreize sehr empfindlich, am Morgen weniger. Blütezeit: Juli bis August.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die ärztliche Anwendung des Tausendgüldenkrautes läßt sich bis zu den Hippokratikern (5. und 4. Jahrhundert v. Chr.) zurückverfolgen. Dioskurides empfiehlt es als Purgans, Emmenagogum, Augen- und Wundmittel. Ferner schreibt er von der Extraktbereitung: "Was nun die Saftgewinnung aus den trockenen Wurzeln und Kräutern betrifft, so wird dieselbe durch Kochen bewirkt wie beim Enzian; was den Saft der ausgepreßten frischen Rinde, Wurzel und Kräuter angeht, so wird er in der Sonne eingeengt." In wie hohem Ansehen die Pflanze als Wundmittel in der Antike stand, ist nach Plinius aus einem verbreiteten Glauben zu ersehen, nach dem sie geschnittenes Fleisch beim Kochen wieder verbinden könnte. Auch später im Mittelalter, z. B. bei Albertus Magnus, findet sich dieselbe Bemerkung: "et mirum narratur de ea, quod etiam, si coquatur cum carne incisa, quod conjungit eam." Die alten Gallier schätzten sie als Antidot.
Der gallische Volksmediziner Marcellus Empiricus (4. Jahrh. v. Chr.) erwähnt an vielen Stellen das "Centaureium", bringt aber meistens dieselbe Anwendungsweise wie die alten griechischen und römischen Ärzte. Nicht von Plinius übernommen dürfte wohl das folgende Rezept sein: "Die zerstoßene Erdgalle gib in ganz altem Wein dem Hüftkranken, der nüchtern sein und mit einem Fuße auf der Türschwelle stehen muß. Aber reiche den Heiltrank nicht in einem Glas." Weiter galt Centaurium als gutes Mittel gegen Leberverstopfung und Febris intermittens. Eine Pflanze "Centaurea", unter der vielleicht unser Tausendgüldenkraut zu verstehen ist, nennt auch die hl. Hildegard in ihrer Physika. L. Fuchs (16. Jahrhundert) bringt die erste gute Abbildung der Pflanze. H. Bock drückt die Wertschätzung, die das Tausendgüldenkraut genoß, folgendermaßen aus: "ist köstlich im Leib und auch eusserlich zu brauchen." Matthiolus empfiehlt es u. a. als Bleichmittel für die Haare.
Als volksmittel erfreut sich die Pflanze auch heute nicht nur in Deutschland, sondern auch in Rußland, besonders als Magenmittel, großer Beliebtheit. Ein Branntweinaufguß zusammen mit Hartheu (Hypericum perforatum) ist sehr geschätzt und fehlt im Gouvernement Kiew nie auf dem Tische der Dorfgeistlichen. In der Steiermark wird gegen skrofulöse Augenleiden 6 Wochen täglich ein Tee aus Nußblättern und Tausendgüldenkraut getrunken. Die Wendinnen trinken Tausendgüldenkrauttee gegen Amenorrhöe. Daß das Kraut häufig mit Blutungen in Verbindung gebracht wird, dürfte wohl mit der roten Farbe der Blüten zusammenhängen. Nach einer ostpreußischen Sage gehört das Tausendgüldenkraut zu den Pflanzen, deren Heilkraft ein Vogel gegen die Pest rühmte. Die Ungarn glauben, daß es gegen die Tollwut schütze. Wie viele andere rotblühende Pflanzen gilt es auch als dämonenabwehrendes Mittel.
Wirkung
Ein sehr geschätztes Heilmittel war das Tausendgüldenkraut schon zu Zeiten Hippokrates (Fuchs, Hippokrates Sämtl. Werke, Bd. 2, S. 445, 486.).
Besonders häufig wurde es von Paracelsus (Paracelsus Sämtl. Werke, Bd. 1, S. 811, 867, 940, 967, Bd. 2, S. 98, 150, 279, 570 u. f., Bd. 3, S. 142, 145, 209 u. f.) empfohlen.
Hieronymus Bock (Bock, Kreutterbuch, Straßburg 1565, S. 51.) lobt es als zerteilendes, eröffnendes und austreibendes Mittel, insbesondere bei Ikterus, Leber- und Milzleiden, Koliken und Fiebern; auch gegen Ischias, Würmer und als Emmenagogum und zur Austreibung der Plazenta wendet er es an, äußerlich als gutes Wundmittel.
Außer diesen Indikationen gibt Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 210.) auch Apoplexie, Paralysis und Epilepsie an, bei denen es als Ableitungsmittel auf den Darm wirken soll, ferner Lähmigkeit, Zittern, Unempfindlichkeit, Krampf und schließlich Augenschwäche.
Nach v. Haller (v. Haller, Medicin. Lexicon, S. 353.) schreibt man dem Centaurium eine besondere Kraft zu gegen Verstopfungen der Leber, der Milz, des Uterus und der Galle, gegen Appetitmangel und zur Magenstärkung.
Hufeland (Hufeland, Enchir. medic., S. 160, 163, 279, 292, 363; Journal, Bd. 27, IV., S. 36, Bd. 32, VI., S. 13.) erwähnt die Pflanze öfter und veröffentlicht u. a. einen Hinweis von Heller auf die Heilkraft des Krautes bei Febris intermittens, von der er sich auch selbst überzeugen konnte. Hecker (Hecker, Pract. Arzneimittell., Bd. 1, S. 212.) stellt die Wirkung des Krautes neben die des Enzians, läßt aber äußerlich noch ein Dekokt bei Geschwüren, Ausschlägen, Tinea und Läusen gebrauchen. Herba centauriae war auch ein Bestandteil der Kämpfschen Visceralklistiere (vgl. Rezepte) gegen hartnäckige Obstipation, die von Leberleiden ausging und mit Hypochondrie oder Hysterie verbunden war (Clarus, Handb. d. pr. Arzneimittell., S. 1056.). Als gutes Mittel zu Frühjahrskuren, namentlich bei Hautkrankheiten, Verstopfung, Leberverhärtung und Lungenverschleimung wird das Tausendgüldenkraut von Friedrich (Friedrich, Sammlg. v. Arzneim., 1845, S. 155.) genannt.
Auch Bohn (Bohn, Heilwerte heim. Pflanzen, S. 71.) lobt es bei Magenleiden und Magenschwäche in der Rekonvaleszenz nach schweren akuten Krankheiten und bei asthenischer Körperverfassung.
Die heutige deutsche Volksmedizin (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 140.) wendet das Kraut bei chronischem Magenkatarrh und dessen Begleiterscheinungen, namentlich Pyrosis, Obstipation und Hämorrhoidalbeschwerden an.
Kneipp (Seb. Kneipp, Das große Kneippbuch, S. 969, München 1935.) hält es für eins der eifrigst gesammelten Hausmittel. Wenn früher jemand Fieber gehabt hätte oder auch nur Katarrh oder Schnupfen, dann sei ein Tee von Tausendgüldenkraut bereitet worden. Nach ihm ist es das beste Mittel gegen Sodbrennen, wie schon aus dem Namen Magensod hervorgehe, den die Landleute gebrauchen. Es ist ein allgemeines Blutreinigungsmittel, das bei Gelbsucht, Leber- und Nierenleiden und zur Unterstützung der Magensäfte angewendet wird. In Mischung mit Wermut und Salbei gab man es bei Husten, in Mischung mit Wermut bei Keuchhusten. Diese Mischung treibt auch die Würmer ab und wirkt als innerliches Mittel bei Hautunreinigkeiten und Eiterbildungen.
In der russischen Volksmedizin (W. Demitsch, in Histor. Studien aus d. pharm. Inst. d. Univ. Dorpat, Bd. I, S. 212, Halle 1889.) wird es nach W. Demitsch als Fiebermittel, Stomachikum und gegen Brustschmerzen als das gebräuchlichste Hausmittel angesehen. Mit den gepulverten Blüten werden in Sibirien warme Umschläge unter Zusatz von Bierhefe bei malignen Pusteln gemacht. Bei Menstruationsverhaltung wird eine Wurzelabkochung, etwa 60 : 500 tassenweise getrunken. Bei Schwindsucht gab man es in Mischung mit Menyanthes trifoliata und Achillea millefolium.
Weger (Weger, Naunyn-Schmiedebergs Arch. 1929, Bd. 144, S. 261.) zählt das Tausendgüldenkraut zu den herzanregenden, appetitsteigernden Bittermitteln (vgl. Bitterstoffe S. 234).
Das Kraut enthält das bittere Glykosid Erythrocentaurin (Wehmer, Pflanzenstoffe, S. 971.) und das Glykosid Erytaurin (Hérissier et Bourdier, J. Pharmac. Chim., 28, 252, 1908 (C. C. 1935).).
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Gegen Magenbeschwerden, Gelbsucht, Würmer und als Emmenagogum.
Litauen: Gegen Bleichsucht mit Kopfschmerzen und Brustleiden.
Polen: Als beliebtes Amarum bei Appetitlosigkeit und Malaria, ferner bei Uterusblutungen.
Ungarn: Gegen Malaria, Dyspepsie, Nausea, Tuberkulose und Gallenleiden.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Centaurium ist ein häufig verordnetes Mittel bei Gastropathien wie Magenschwäche, Pyrosis, Appetitlosigkeit, Dyspepsie, Hyperchlorhydrie, Magenkatarrh, Obstipation und Verschleimung.
Schematische Darstellung der Häufigkeit der Anwendung von:
Als eröffnendes und austreibendes Mittel wird es auch gern bei Leber- und Gallenstörungen, Ikterus, Milzschwellungen bei Malaria (hier machte Wagner an sich selbst mit dem Tee im Wechsel mit Grindelia Oligoplex gute Erfahrungen), Hämorrhoiden und seltener bei Nierenleiden gegeben. Bei Cholelithiasis und Nephrolithiasis empfiehlt Wastalu, Estland, ein Teegemisch von Fructus Cynosbati, Salvia und Centaurium min., während Müller, Donaustauf, bei Pyelo-Urethritis gute Erfolge sah.
Unter den weiteren Indikationen steht besonders Diabetesmellitus im Vordergrund.
Gute Resultate sind auch bei Uterusaffektionen wie Menstruationsstörungen und Unterleibsdrüsenerkrankungen und bei fieberhaften Erkrankungen, insbesondere Febris intermittens (nach M. Lewinski) auch bei Blutwallungen verzeichnet worden. Tonisierend und blutreinigend wirkt Centaurium bei Rachitis, Skrofulose, Bleichsucht und Blutarmut (Bachem, Frankfurt, nennt es gegen Kopfschmerz der Männer) und wird gelegentlich gegen Dermatopathien wie Exantheme, Lichen und eiternde Ulzera angewandt. Sehr vereinzelt sind die Indikationen für Rheuma und Gicht, und schließlich bezeichnet Wittlich Centaurium noch als Blutstillungsmittel, während Schirres bei Lungenasthma nennt. Eine Nachprüfung lohnt sich vielleicht von der Behauptung Czerwinskys, daß kräftige, korpulente Personen nach längerem Genuß des Tausendgüldenkrautes abmagern.
Centaurium wird sehr gern im Teegemisch mit Mentha piperita, Absinthium, Gentiana, Calamus, Menyanthes trifoliata und Carduus benedictus gegeben.
Angewandter Pflanzenteil:
Hippokrates nennt Kraut und Wurzeln.
Dioskurides benützte das Kraut mit den Samen und bezeichnet die Wurzel als nutzlos.
Bock gebrauchte die Blumen und das Kraut, Matthiolus nur das Kraut. v. Haller schreibt Blumen und Blättern sehr große Wirkung zu.
Nach Hecker wurden gewöhnlich Kraut und Blüten des zweiten Jahres gebraucht, Schulz erwähnt die häufige Verwendung des getrockneten Krautes in der Volksheilkunde.
Bohn nennt die blühenden Triebspitzen.
Am geeignetsten zur Herstellung für die Präparate ist das frische blühende Kraut, aus welchem auch das "Teep" hergestellt wird.
Herba Centaurii minoris ist offizinell in Deutschland, Österreich, in der Schweiz, in Holland, Ungarn, Rußland, Belgien, Jugoslawien, Frankreich, Rumänien, Spanien, Griechenland.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
Maximaldosis:
Rezepte:
Als Stomachikum:
- Rp.:
1 Teelöffel voll wiegt 1,5 g, so daß für 1 Glas Tee zweckmäßig ½ Teelöffel verwendet wird.)
Zur Frühjahrskur und bei Dermatopathien (nach Friedrich, mod. v. Verf.):
- Rp.:
Bei hartnäckiger von Leberleiden ausgehender Obstipation: Kämpfsches Visceralklistier.
- Rp.:
Gegen Bleichsucht (nach Dinand):
- Rp.:
Species stomachicae (F. M. Germ. u. Austr. Elench.):
- Rp.:
Als Fiebertee (nach Kroeber):
- Rp.:
Zur Regelung der Menstruation, Dysmenorrhöe (nach Meyer):
- Rp.:
Als Magentee (nach Kliemant):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.