Tormentilla. Blutwurz, Tormentill, Heidecker. Rosaceae.
Related entry: Potentilla anserina
Name: Potentilla tormentilla Neck. (= P. silvestris Neck., = Tormentilla erecta L. Hampe, = T. tormentilla Necker, = tetrapetala Haller f., = Fragaria tormentilla Crantz). Blutwurz. Tormentill. Französisch: Tormentille; englisch: Tormentil; italienisch: Tormentilla, erba settefoglia; dänisch: Tormentille, Rödme rod; litauisch: Kundrotai, Degsnis; polnisch: Kurze ziele, piecornik; russisch: Dierewianka; schwedisch: Blodrot; tschechisch: Nátržník, mochna lesní; ungarisch: Vérontó pimpó.
Weiteres Vorkommen: Vom Kaukasus und Ural durch Westsibirien bis zum Altai.
Namensursprung: Der Gattungsname Potentilla, der ursprünglich wohl nur für Potentilla anserina gebrauchte mittelalterliche Name, tritt meist in althochdeutschen Glossaren auf. Er ist eine Verkleinerungsform, wahrscheinlich vom lateinischen potentia = Macht oder potens = mächtig, wohl wegen der Heilwirkung. Tormentilla, der seit dem Mittelalter allgemein gebräuchliche Apothekername, stellt wohl eine Verkleinerungsform vom lateinischen tormentina = Darmgrimmen, Kolik dar, gegen welche der Wurzelstock schon immer gebraucht wurde. Der Name Blutwurz rührt von der blutroten Farbe der Wurzel her.
Botanisches: Die kleine Rhizomstaude ist in Eurasien beheimatet. Ihr unregelmäßig knollig verholzender Wurzelstock ist außen dunkelbraun und innen blutrot. Die aufrechten oder niederliegenden beblätterten Stengel werden 10-50 cm lang. Die gelben, vierzähligen Blüten werden von langen dünnen Stielen getragen, die blattgegenständig oder aus den Verzweigungsstellen der Stengel entspringen. Die festsitzenden Stengelblätter sind dreizählig, die rasch welkenden Grundblätter mitunter fünfzählig gefingert. Stengel und Blätter sind mäßig behaart. Die Blutwurz wächst in nassen und trockenen Wiesen vom Tiefland bis in die alpine Stufe. Sie ist ebenso widerstandsfähig gegen ziemlich starke Beschattung, Trokkenheit und zeitweise Überschwemmung, wie sie auch auf saurem Humus und auf reinem Kalkboden gedeiht. In Mähwiesen gilt sie als ausgesprochener Magerkeitsanzeiger. Blütezeit: Juni bis August.
Geschichtliches und Allgemeines:
Das "pentephyllon" der Alten, von dem vermutet wird, daß es sich auf eine Potentillaart bezieht, dürfte wohl kaum die Blutwurz, sondern eher Potentilla reptans gewesen sein. Die auf dem hohen Gerbstoffgehalt beruhende stopfende und blutstillende Wirkung der Tormentillwurzel haben ihr schon frühzeitig in der Heilkunde hohes Ansehen verschafft. So sagt Brunfels: "Tormentill ist die aller köstlichst blutstellung / ein secret den frawen iren blumen (= Menstruation) zu stellen / so sye denselbigen zuvil haben / mag man das zum Seckelkraut (Capsella Bursa pastoris) nehmen." Besonders oft wurde sie als gutes Mittel gegen die Ruhr, starken Durchfall und Leibschmerzen empfohlen, aber es gab auch eine Zeit, wo man sie gegen Pestilenz und alles Gift pries; daher der Spruch:
Wirkung
Bei Paracelsus (Paracelsus Sämtl. Werke, Bd. II, S. 641.) fand die Tormentillwurzel als schmerzstillendes Mittel bei Zahnweh Anwendung.
Großes Lob erhält sie bei Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 187.), der sie als schweißtreibend, lungen- und leberreinigend, wirksam bei Erkältung, Fieber, Erbrechen, vor allem aber als das beste Mittel bei "roten und weißen bauchflüssen", Ruhr und Cholera rühmt. Äußerlich soll sie "alle faule vunden, schäden und geschvär" säubern und heilen, die Menses stillen, Beulen und Knollen vertreiben, Kröpfe zerteilen und Grinde und Feigwarzen heilen.
Pfarrer Kneipp (Kneipp, Das große Kneippbuch, S. 971, München 1935.) empfahl die Wurzel bei Blutbrechen, zu starken Menses, Lungen- und Leberleiden und Ikterus. Den äußerlichen Gebrauch schätzte er bei Gicht und als Wundheilmittel.
Nach v. Henrici (A. A. v. Henrici, in Histor. Studien aus d. pharm. Inst. d. Univ. Dorpat, herausgegeben von Kobert, 1894, Bd. IV, S. 64.) gilt sie in der russischen Volksmedizin als gutes Antidiarrhoikum und wird lokal gegen Fluor albus benutzt.
Wie Schulz (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 224.) berichtet, findet sie im Volke auch gegen chronische Gonorrhöe Anwendung.
Bentley und Trimen (Bentley and Trimen, Medicinal Plants, 1880, Bd. II, S. 101.) nennen die Tormentillwurzel eines der besten vegetabilischen Adstringentia und empfehlen sie bei Diarrhöe, chronischer Dysenterie, zu Spülungen bei Geschwüren der Mundhöhle und als Injektion bei atonischer Leukorrhöe. Sehr nützlich soll sie sich nach ihnen auch in der Tierheilkunde bei Dysenterie erwiesen haben.
In Italien ist gleichfalls der Gebrauch als Antidiarrhoikum und Antidysenterikum bekannt, und zwar muß nach Inverni (Inverni, C. B., Piante medicinale, Bologna 1933.) die Verordnung so lange fortgesetzt werden, wie die entzündlichen Erscheinungen andauern. Weiter wird der innerliche Gebrauch bei Hämorrhagien (nicht aber Metrorrhagie) und Hämaturie und der lokale bei entzündlichen Erscheinungen des Mundes und Rachens, am Zahnfleisch und bei chronischer Angina erwähnt.
Leclerc (H. Leclerc, Précis de Phytothérapie, S. 105, Paris 1927.), der mit der Tormentillwurzel als Stopfmittel besonders gute Erfolge bei Altersdiarrhöen sah, lobt sie darüber hinaus als eins der besten pflanzlichen Mittel der "Tannintherapie der Tuberkulose". Bei Tbc.-Kranken, deren Magen kein Tannin vertrug, sah er nach Verabreichung der Tormentillwurzel sogar Besserung des Magentonus und Steigerung des Appetits. Bei Leukorrhöe junger lymphatischer Mädchen empfiehlt er die konzentrierte Abkochung.
Bohn (Bohn, Die Heilwerte heim. Pflanzen, S. 72.) schreibt ihr günstigen Einfluß auf die erschlaffte Schleimhaut der Unterleibsorgane zu und verordnet sie bei Diarrhöen, Enterorrhagien, Katarrhen der weiblichen Genitalorgane mit Eiterausfluß und bei passiven Hämorrhagien.
Weiß (R. F. Weiß-Schierke, Therap. d. Gegenw. 1923, H. 4; derselbe, Dtsch. med. Wschr. 1928, S. 831.) hatte sehr gute Erfolge mit der Tormentill-Medikation bei katarrhalischen Darmerkrankungen, insbesondere Enteritiden und Kolitiden. Er ist der Ansicht, daß die Tormentillwurzel der ausländischen Ratanhiawurzel vollkommen gleichwertig ist. In den letzten Jahren hat sich noch eine ganze Reihe anderer Autoren (z. B. Peyer (W. Peyer, Jahresber. Caesar & Loretz 1928, S. 116.) und Vollmer) (H. Vollmer, Münchn. med. Wschr. 1935, S. 1118.) dafür eingesetzt, daß an Stelle der Ratanhia die Tormentillwurzel zu gebrauchen ist.
Janson (Janson, ärztliche Sammelblätter 1937, S. 155.) empfiehlt den Tee aus der Wurzel bei Nasenbluten, äußerlich bei nässenden Ekzemen.
Die Wirkung beruht auf dem hohen Gerbstoffgehalt, der nach früheren Untersuchungen mit 17-31% (Wehmer, Die Pflanzenstoffe, S. 452.), nach neueren mit 20% (Esdorn, Süddtsch. Apoth.-Ztg. 1936, Nr. 84.) angegeben wird. Nach Kofler (Kofler, zit. b. Kroeber, Das neuzeitl. Kräuterbuch, S. 355.) gelangt der in der Tormentillwurzel enthaltene Gerbstoff erst im Darm völlig zur Wirkung, während reiner Gerbstoff schon im Magen wirkt und durch Eiweißfällung die Schleimhaut schädigt. Peyer und Diepenbrock (W. Peyer u. F. Diepenbrock, Apoth.-Ztg. 1927, Nr. 86.) stellten fest, daß der Gerbstoffgehalt der Droge und der Tinktur rasch abnimmt, so daß es unbedingt notwendig ist, stets nur frisch gepulverte Droge zu verwenden.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Litauen: Bei blutiger Diarrhöe und Nierenkrankheiten.
Polen: Innerlich bei Diarrhöe und Darmkatarrh; äußerlich zur Wundbehandlung.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Tormentilla wirkt als ausgezeichnetes Antidiarrhoikum, das man mit sehr gutem Erfolge bei hartnäckigen Diarrhöen (häufig mit blutigen Stühlen), Enteritis, Darmblutungen (hier nach Rose als Klistier, vgl. Rezepte), Brechdurchfall, Dysenterie, Magenschwäche, Ulcus ventriculi, Ätzung der Rektalschleimhaut, Bluterbrechen und schließlich bei Appetitlosigkeit anämischer Kinder verordnet. Bei Prolapsus ani kleiner Kinder gibt Reuter, Greiz, Tormentilla als Bleibeklistier (zwei bis drei Eßlöffel des Dekokts mehrmals täglich), während Bischoff, Berlin, die Blutwurz im Teegemisch mit Salvia, Fumaria und Taraxacum bei einem Wechsel von Hautausschlägen, Durchfall und Obstipation empfiehlt.
Weiter hemmt Tormentilla auch Blutungen anderer Organe als die des Verdauungsapparates und wird recht gern bei Menorhagie angewandt.
Günstiger Einfluß des Mittels wurde noch auf Ikterus, Nebenhöhleneiterung, Gicht, Leberleiden und Diabetes beobachtet.
Als Gurgelwasser wird es bei Entzündungen im Bereich der Mund- und Rachenhöhle, wie Gingivitis, Stomatitis hämorrhagica, Hg-Stomatitis, Skorbut und Angina, gelobt. Als Umschlag oder in Salbenform gelangt es bei Wunden, nässenden Ekzemen, aufgesprungenen Händen und Lippen, Akestom (wildes Fleisch), Quetschungen und Blutergüssen zur Anwendung.
Als Kombinationsmittel sind Quercus, Equisetum, Millefolium, Chamomilla und Myrtillus beliebt.
Angewandter Pflanzenteil:
Bei Paracelsus findet sich die Verwendung von Radix Tormentillae.
Bock erwähnt neben der Verwendung der Wurzel auch die des Krautes.
Später wird nur noch die Wurzel als verwendet angegeben.
Das HAB. läßt den frischen Wurzelstock zur Herstellung der homöopathischen Urtinktur verwenden (§ 3). Aus dem frischen Wurzelstock wird auch das "Teep" hergestellt.
Sammelzeit: Mai bis Juni.
Rhizoma Tormentillae ist offizinell in Deutschland, in der Schweiz, in Frankreich und Portugal.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
Maximaldosis:
Rezepte:
Bei hartnäckiger Diarrhöe und Enteritis:
- Rp.:
1 Teelöffel voll wiegt 6,4 g.).
Als Antidiarrhoikum (nach Wolff):
- Rp.:
Bei Darmblutungen als Einlauf (nach Rose):
- Rp.:
Bei entzündlichen Erkrankungen der Mundhöhle: als Gurgelwasser.
- Rp.:
Bei Ulcus ventriculi und Darmreizung (nach Rose):
- Rp.:
Bei Hg-Stomatitis, nach schweren Extraktionen und anderen operativen Eingriffen in der Mundhöhle (nach Hoffmann):
- Rp.:
Bei Enteritiden und Koliken (nach Peyer):
- Rp.:
Gegen Diabetes mellitus (nach Türk):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.