Sinapis nigra. Schwarzer Senf. Cruciferae.
Name: Brassica nigra (L.) Koch (= Sinapis nigra L., = Mutarda nigra Bernh., = Sisymbrium nigrum Prantl, = Melanosinapis nigra V. Calestani, = Raphanus sinapis offic. Crantz, = B. sinapis Noulet nec Vis., = Crucifera sinapis E. H. L. Krause, = Melanosinapis communis Schimper et Spenner, = Erysimum glabrum Presl, = Sinapis tetraëdra Presl, = Sinapis erysimoides Roxb., = S. Gorrœa Buch.-Hamilt ex Wall., = S. orgyalis Roth, = Sinapis erysimoides Roxb. Schwarzer (Roter, Brauner, Französischer, Holländischer) Senf, Senfkohl. Französisch: Moutarde noire, sénevé noir, sénevé gris; englisch: Black, brown, red mustard; italienisch: Senapa, vera, senape, senevra; dänisch: Sort Sennep; norwegisch: Sort sennep; polnisch: Gorczyca czarna; russisch: Czornaja gorczyza; schwedisch: Svartsenap.
Weiteres Vorkommen: Afghanistan, Belutschistan. Tibet, Dsungarei, (angebaut und ver = wildert in Skandinavien, Ostasien, Südafrika, Australien, Neuseeland, in ganz Amerika.
Namensursprung: Sinapis ist der Name des Senfes bei Columella und Plinius ("sinapi" oder "sinapy" bei Nikandros und Theophrast, "napy" bei Dioskurides, Hippokrates und Athenaios). Das deutsche Wort Senf ist aus dem lateinischen "sinapis" entlehnt. Die für den Tafelsenf allgemein verbreitete Bezeichnung Mostrich stammt von dem spätlateinischen mustardum = scharfer Most ab. Er wurde also aus Senf und Most hergestellt. Brassica vom lateinischen praesecare = abschneiden, weil von seinem Stengel allmählich abgeschnitten wird, oder auch vom griechischen βρ_σσω (brasso) = knistern, weil seine Blätter beim Abbrechen knistern.
Botanisches: Die einjährige hochwüchsige Pflanze mit dünner spindelförmiger Wurzel ist eine alte Kulturform, die auch verwildert fast nur auf bearbeitetem Boden gedeiht. Ihr verästelter Stengel wird bis zu 1 m hoch. Die unteren Blätter sind leierförmig-fiederspaltig, die oberen eiförmig oder länglich-lanzettlich. Alle aber sind gezähnt und gestielt. Die lebhaft gelben Blüten entwickeln sich zu mehrsamigen, lang geschnäbelten, stielrunden oder fast vierkantigen schotenförmigen Früchten. Sinapis nigra kann als Salpeterpflanze bezeichnet werden. Blütezeit: Juni bis August.
Geschichtliches und Allgemeines:
Sinapis nigra ist eine uralte Kulturpflanze und war schon bei den alten Griechen und Römern ein beliebtes Heilmittel. Nach Dioskurides hilft Sinapis (Sinapis alba) gegen Epilepsie, Milz- und Leberleiden, Haarausfall und schwache Augen, Galenus empfiehlt das Senfmehl bei Paralyse, Pleuritis und Frostschmerzen. Aber nicht nur als Heilmittel, sondern auch als Gewürz und Genußmittel ist der Senf schon lange bekannt. Die im Neuen Testament wiederholt genannten Senfkörner, als die kleinsten unter allen Samen, waren wohl die Samen von Sinapis nigra. - Von einer Kultur der Sinapis- und Brassicaarten nördlich der Alpen hören wir erst im 9. Jahrhundert. In England war der Senf im 12. und 13. Jahrhundert schon sehr bekannt und wird ausführlich in the "Meddygon of Myddvai" (13. Jahrhundert) beschrieben.
Das Senföl als wirksamer Bestandteil des Schwarzen Senfes wurde im Jahre 1732 von Boerhaave, Leiden, entdeckt. In Italien gilt der Senf als Symbol der Fruchtbarkeit.
Wirkung
Paracelsus (Paracelsus Sämtl. Werke, Bd. 2, S. 56.) rechnet den Senf unter die Coagulativis.
Von Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 38.) wird er als zerteilend und ausziehend, hirnreinigend, magenstärkend und verdauungsfördernd, aphrodisiakisch und fieberschauervertreibend geschildert; außerdem gibt der Autor die Indikationen für die verschiedenen äußerlich anzuwendenden Senfpräparate an, wie für Senfmehl: Angina tons., blaue Mäler, Haarausfall, für Senfpflaster: Hüftweh usw. Einer ganz besonderen Wertschätzung erfreute sich der Senf bei Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 174.), der eine spaltenlange Aufzählung seiner wirksamen Eigenschaften bringt. Außer den bei Bock angeführten rühmt ihm Matthiolus auch diuretische, emmenagoge, expektorierende und steintreibende Wirkungen nach und verordnet ihn u. a. bei Atemnot, äußerlich bei Epilepsie, hysterischen Anfällen, Apoplexie, Ohrensausen, Abszessen und vielem anderen.
Hufeland (Hufeland, Enchir. med., S. 205, 211, 218, 222, 379; Journal, Bd. 1, S. 491.) wandte den Senf vorwiegend äußerlich, in Form von Bädern, Pflastern, Umschlägen usw. bei Schwächezuständen, als Anregungsund Reizmittel, an.
Auch Osiander (Osiander, Volksarzneymittel, S. 18, 62, 92, 138, 142, 170, 218, 226, 236, 258, 405, 432.) erwähnt ihn häufig.
Sinapisarten wurden in China schon im 10. Jahrhundert unter der Bezeichnung Pai-chieh-tzu als Mittel gegen Erkältung, Gastropathien, Tumoren und Rheumatismus empfohlen (Tsutomu Ishidoya, Chinesische Drogen, Teil II, 104.).
Als gutes Emetikum bei chronischen Gastropathien, gegen Dyspepsie mit Obstipation, chronisches Rheuma, Amenorrhöe und Chlorose wird nach Stephenson und Churchill (Stephenson and Churchill, Medical Botany, Bd. I, 42, London 1834.) Sinapis nigra verordnet. Außerdem werden Fußumschläge mit Senfmehl bei kollapsähnlichen Zuständen und Blutandrang nach dem Kopfe empfohlen.
In der heutigen Volksmedizin werden - nach Schulz (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 132.) - die Senfsamen bei asthmatischen Beschwerden mit starker Schleimanhäufung in den Bronchien, bei Pertussis, chronischer Gastritis, Vertigo, Kopfschmerz, Febris intermittens und Hydrops per os angewandt, äußerlich als Hautreizund Ableitungsmittel, namentlich bei akuten Entzündungen der Respirationsorgane. Schulz selbst sah gute Erfolge von Senfmehl-Kataplasmen bei Lymphomen (Kerndlsche Katapl., best. aus 1 Teil frisch zerstoßenen Senfsamen und 5 Teilen Sapo kalinus), besonders am Halse.
In der Homöopathie wird der Schwarze Senf vorwiegend gegen Heufieber gebraucht (Clarke, A Dict. of pr. Mat. Med., S. 1194.).
Zweig (Zweig, Biologische Heilkunst 1929, S. 450.) berichtet von einem Arzt, der seit drei Tagen nach einem "gastrischen Fieber" an Singultus litt und einen Leinsamenaufguß einnehmen wollte. Er vergriff sich aber und trank eine Tasse von Senfmehlaufguß, worauf das Schlucken prompt verschwand. Seitdem verordnete er dieses Mittel (1 Kaffeelöffel auf 120 g siedendes Wasser [das siedende Wasser zerstört das Senföl bildende Ferment, und dadurch ist diese große Dosis verträglicher, Verf.]) auch anderen, die an Singultus litten, mit gleich gutem Erfolge.
Die wichtigste Substanz des Senfsamens ist das Sinigrin (Gehalt etwa 3,5-7%), aus dem sich durch fermentative Spaltung mit Hilfe des ebenfalls im Senfsamen enthaltenen Myrosins unter Wasseraufnahme das Allylsenföl, das wirksame Prinzip des Senfs, abspaltet (Wasicky, Lehrb. d. Physiopharm., S. 769.). Dieses erzeugt auf der Haut eine vorübergehende Hyperämie, bei Luftabschluß (Verbände, Pflaster) stärkere Hyperämie, Schwellung und Schmerz (Konrich u. Muntsch, Klin. Wschr. 1931 I, S. 1170.). Da es zu schwereren Hautschädigungen kommen kann, darf ein Senfsamenkataplasma nicht zu lange liegen bleiben (s. Rezept). Bei der Herstellung des Kataplasmas ist zu berücksichtigen, daß das Myrosin wärmempfindlich ist und das verwendete Wasser höchstens 40-45° warm sein darf. Vgl. auch das Kapitel Inhaltsstoffe, Abschnitt Fermente, S. 184. Nach peroraler Aufnahme größerer Mengen Senf oder Senföl tritt heftige Reizung der Magendarmschleimhaut mit Vomitus, Salivation, Koliken, Diarrhöen auf, dazu Albuminurie, Hämaturie, Uteruskontraktionen, Abort, Dyspnoe, Lungenödem, Krämpfe, Temperaturkollaps und zentrale Lähmungen (Kobert, Lehrb. d. Intoxik., S. 358.).
Im Jahre 1934 untersuchten Heupke und Holländer (Heupke-Holländer, Arch. f. klin. Med. 1934) verschiedene Gewürzarten in bezug auf die Magensaftsekretion und stellten fest, daß Weißer Senf die Sekretion hemmt.
Zur Wertbestimmung von Zubereitungen von Sinapis nigra verwendet man wohl zweckmäßig die Bestimmung des Senföles. Es wurde für die nach dem HAB. (Homöopathischen Arzneibuch) angesetzte Tinktur im Destillat eine Silberzahl von 0,019 gefunden. Das Glykosid Sinigrin ist in Alkohol sehr schwer löslich und geht deswegen nicht in die nach der Vorschrift des HAB. mit hochprozentigem Alkohol hergestellte Tinktur. Will man also die Tinktur gehaltreich machen, so ist es zweckmäßig, vor dem Auszug mit Myrosinase oder aber durch bloßes Stehenlassen mit Wasser das Glykosid fermentativ zu spalten. Bei der Spaltung mit Myrosinase wurde im Destillat eine Silberzahl von 0,237 und bei der Fermentierung mit Wasser eine solche von 0,165 gefunden, also das Acht- bis Zwölffache des ursprünglichen Gehaltes (Nach eigenen Untersuchungen.).
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Sinapis nigra ist ein wichtiges Ableitungsmittel auf die Haut, das in Form von Bädern, Pflastern und Umschlägen gern gegeben wird bei akuten Entzündungen aller Art, insbesondere der Respirationsorgane (Pneumonie, Pleuritis, Bronchitis), rheumatischen Erkrankungen, Lumbago, Neuritis, Scharlach und Masern mit starkem Ergriffensein der Lunge und schwach entwickeltem Exanthem, Kongestionen nach dem Kopf und Schwindel (hier als Fußbäder).
Bei Zahnschmerzen werden Inhalationen mit dem Öl gemacht.
Bei Angina pectoris werden die Anfälle augenblicklich gestillt durch Einreiben des Brustbeins mit Redskin (äußerlich anzuwendendes Senfölpräparat). Sonstige Anwendung s. Rezept.
Angewandter Pflanzenteil:
Überall in der Literatur sind die Samen als verwendete Teile angegeben, so bei Bock, Matthiolus, Hufeland, Osiander, Wasicky, Schulz, Hager, Thoms u. a. Das HAB. läßt reife Samen zur Bereitung der Tinktur benutzen (§ 4). Frischereife Samen werden auch verwendet zur Herstellung des "Teep". Erntezeit: August bis September.
Semen Sinapis (nigrae) ist offizinell in allen Staaten außer England,
Folia Sinapis nigrae sind offizinell in Portugal.
Dosierung:
Übliche Dosis in der Homöopathie:
Maximaldosis:
Rezepte:
Bei Bronchopneumonie der Kinder (nach Trendelenburg):
- Rp.:
Oder:
- Rp.:
Zusammengesetztes Senfliniment zum Einreiben und zur Ableitung auf die Haut (nach Dinand):
- Rp.:
Bei Pleuritis als Bad (nach Leclerc):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.