Solanum nigrum. Schwarzer Nachtschatten. Solanaceae.

Botanical name: 

Name: Solánum nígrum L. (ex parte). Schwarzer Nachtschatten. Französisch: Morelle (noire), crève-chien; englisch: Morel, garden nightshade, hound's berry; italienisch: Erba morella, solano nero, s. ortense, ballerina solatro (ortolano); dänisch: Natskade; litauisch: šunuogé; norwegisch: Sort Vivang, Sort sØtvider; schwedisch: Nattskatta; tschechisch: Lilek černý; ungarisch: Fekete csucsor.

Verbreitungsgebiet: Kosmopolit, fehlt im arktischen u. antarktischen Florenreich.

Namensursprung: Solanum ist der Pflanzenname bei Celsus. Die mittellateinischen Namen wie solatrum, solaticum usw. beziehen sich hauptsächlich auf S. nigrum. Der deutsche Name Nachtschatten bezieht sich nach Höfler auf die Verwendung der Pflanze gegen den "Nachtschatten" (= Alpdruck).

Volkstümliche Bezeichnungen: Mondscheinkraut, bäuerliches Mittel gegen die Mondsucht (Oststeiermark). Nach ihren giftigen Eigenschaften heißt die Art: Saukraut (Niederösterreich), Scheißgras (Nordböhmen), stinkad's Gras (Niederösterreich) als verächtliche Bezeichnungen für die an Düngerstätten wachsende Pflanze, Hundsbeere (mundartlich z. B. Nordwestdeutschland und im bayrisch-österreichischen Gebiet), Fuulbeeren (Bremen), Sautod (z. B. Nahegebiet, Altbayern, Schweiz), Höhnerdod (Hannover: Bassum), Hennatod (Altbayern), Giftbeere (Schleswig, Schweiz: Zug), Giftblome (untere Weser), Dullbeeren (Schleswig), Dullkraut (Braunschweig), Deiwelskersche (Nahegebiet).

Botanisches: Der Schwarze Nachtschatten ist eine weit verbreitete Ruderalpflanze, die sich auch an Wegrändern, auf Garten- und Ackerland nicht selten einfindet. Solanum nigrum ist einjährig und blüht vom Juli bis in den Herbst. Die krautigen Stengel werden bis zu 75 cm hoch. Sie verästeln sich sparrig und sind ebenso wie die Äste mehr oder weniger scharfkantig und oft mit zerstreuten, einwärtsgekrümmten oder angedrückten, auf den Kanten aus kleinen Höckerchen entspringenden Haaren besetzt. Die dunkelgrünen Blätter sind eiförmig, keilig in den Stiel verschmälert und meist nur seicht buchtig gezähnt. Die schräg oder senkrecht nach unten hängenden Blüten haben eine weiße, fünfzipflige, radförmige Krone. Die fünf gelben Staubbeutel neigen sich zu einem Kegel zusammen. Da die Blüte nektarlos ist und sie von Insekten daher nur spärlich besucht wird, findet spontane Selbstbefruchtung statt. Die Frucht ist eine erbsengroße, vielsamige, meist schwarze Beere. Die Pflanze ist giftig.

Geschichtliches und Allgemeines:

Solanum nigrum ist ein sehr altes Arzneimittel, das schon in frühester Zeit unter dem Namen Strychnos geschätzt und bekannt war. Hippokrates empfiehlt es gegen nächtliche Pollutionen, und Plinius erwähnt seine unterdrückenden und kühlenden Eigenschaften. Nach Dioskurides ist der Saft der Pflanze mit Bleiweiß, Rosensalbe und Bleiglätte gut gegen Rose und kriechende Geschwüre. Der Saft mit dem gelben Mist der Haushühner vermischt, sei ein unfehlbares Mittel gegen Ägilops (Abszeß zwischen innerem Augenwinkel und Nase). Eingetröpfelt heile er Ohrenschmerzen. Auch im Mittelalter wurde der Nachtschatten viel verwendet. Der Dominikaner-Mönch Theodorich berichtet, daß er um die Mitte des 13. Jahrhunderts zu einer Mixtur gebraucht wurde, die zum Einschläfern der Patienten vor Operationen diente. - Die Ansichten über die Wirkung des Solanum nigrum als Giftpflanze sind sehr widersprechend. Nach Gesner (16. Jahrhundert) und Bauhin (17. Jahrhundert) wurde der Schwarze Nachtschatten früher als Gemüse genossen, ebenso essen die Bewohner der Ukraine häufig die Beeren. Andererseits sind aber auch oft Vergiftungsfälle vorgekommen. Orfilas Versuche zeigten, daß das Kraut entschieden stark narkotische Eigenschaften besitzt und in größeren Mengen tödliche Wirkungen hervorrufen kann. Bei einer Frau und ihren vier Kindern, welche Nachtschatten als Gemüse gegessen hatten, entwickelte sich eine Schwellung des Gesichtes und der Glieder mit unerträglichem Brennen, der Mann, welcher auch davon gegessen hatte, blieb gesund. Camerarius sah auf den Genuß der Beeren bei drei Kindern Delirien, Magenkrämpfe und merkwürdige Verdrehungen der Glieder sich einstellen, und Gmelin erzählt in seiner "Flora Badensis", ein Knabe aus Karlsruhe sei nach dem Genuß der Beeren von schrecklichen Symptomen befallen worden, die Pupillen hätten sich erweitert, Magenbrennen hätte sich eingestellt, und der Knabe sei unter Delirien, Zittern der Glieder und kaltem Schweiß gestorben. Vergiftungen der Schweine, Hühner und Enten mit Solanum nigrum waren früher häufig. - Nach den entgegengesetzten Erfahrungen, die man also in bezug auf die Wirkung der Pflanze gemacht hat, dürfte vielleicht der Fall vorliegen, daß ihre Eigenschaften nach Klima, Boden, Varietäten usw. erheblichen Schwankungen unterliegen, und daß eine Giftpflanze durch die Kultur im Garten an Giftigkeit verliert. Von der auf der Insel Bourbon kultivierten und als Gemüse genossenen Pflanze hat man in Erfahrung gebracht, daß sie saftreicher und angenehmer von Geschmack ist als die wildwachsende. In Amerika wird die Species Solanum carolinense in Tinkturform, 2-30 Tropfen, als ein wichtiges Mittel gegen Epilepsie bezeichnet.

Wirkung

Schon bei Hippokrates (Fuchs, Hippokrates Sämtl. Werke, Bd. 1, S. 328, 330, Bd. 2, S. 516, Bd. 3, S. 287, 311, 343, 478.), der hl. Hildegard (Der Äbtissin Hildegard Causae et Curae, S. 158, 185.) und Paracelsus (Paracelsus Sämtl. Werke, Bd. 1, S. 122, Bd. 2, S. 571, Bd. 3, S. 508, 557, 716, Bd. 4, S. 604.) fand dieses Heilmittel häufig Anwendung.

Lonicerus (Lonicerus, Kreuterbuch, 1564, S. 152 D.) schildert den Nachtschatten vorwiegend als entzündungswidriges Mittel, wirksam bei inneren und äußeren hitzigen Geschwüren und Geschwülsten, insbesondere Magengeschwülsten, beißendem Grind, Ohrvereiterung, heißem Podagra, Hals- und Brustentzündung.

Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 375.) fügt diesen Indikationen noch Harnbrennen, übermäßige Menstruation, Augen-, Leber-, Nieren- und Blasenentzündung hinzu.

Osiander (Osiander, Volksarzneymittel, S. 477, 528.) gibt Solanum nigrum als Volksmittel zu äußerlichem Gebrauch bei Herpes und Abszessen an.

Frankel und Juster (Frankel et Juster, La solanine en thérapeutique dermatologique. IIe Congrès de dermatol. et de vénéréol. de langue ranc., Strasbourg, juillet 1923.) weisen auf die Verdienste von Solanum nigrum auf dem Gebiete der Dermatopathien hin und empfehlen es besonders bei Seborrhöe, nässenden Flechten, psorischer Parakeratosis und Pruritus ani.

Leclerc (Leclerc, Précis de Phytothérapie, S. 275.) hält es außerdem noch für ein gutes Sedativum, das mit Erfolg bei Gastralgien, Enteralgien, Blasenspasmen und Keuchhusten angewendet werden kann. Da der Gehalt an Solanin nicht groß ist, wendet er stärkere Dosen an. So kurierte er einen Patienten mit starken Leberschmerzen mit 30 g des Saftes. Auch empfiehlt er, nur die frische Pflanze zu verwenden, da die getrocknete einen großen Teil ihrer Wirksamkeit einbüße.

Der Begründer der Homöopathie, Hahnemann (Hahnemann in Hufelands Journal, Bd. 2, S. 480.), will Solanum nigrum auch gegen Hydrops und äußerlich gegen Erysipel angewendet sehen.

Clarke (Clarke, A Dict. of pr. Mat. med., Bd. III, S. 1208.) gibt als Indikationen u. a. an: Amaurosis, Chorea, Kopfschmerzen, Hydrocephalus, Meningitis, Tetanus, Scharlach, Typhus, Schwindel und Geschwülste.

Die Wirkung wird vorwiegend bedingt durch den Gehalt an Solanin, das saponinähnlich wirkt und ein starkes Protoplasmagift mit hämolytischen Fähigkeiten darstellt (Perles, Naunyn-Schmiedebergs Arch. f. exp. Path. 1890, Bd. 26, S. 99.). Die Hämolyse tritt nur bei unmittelbarem Kontakt mit Erythrozyten, also nicht nach Resorption vom Magen-Darmkanal auf. Es ruft Vomitus, Diarrhöe, Koma, Krämpfe und Herzlähmung, bei Tieren hämorrhagisch-follikuläre Gastroenteritis, Nephritis, Hämoglobinämie, Blutaustritte in Lunge, Dünndarm und Lymphknoten hervor; im Munde Aphthen und Stomatitis (Henke-Lubarsch, Handb. d. spez. path. Anat. u. Hist., Bd. X, S. 371.).

Von Interesse dürfte folgender Vergiftungsfall mit Solanum nigrum sein. Ein 2 3/4jähriges Kind wurde mit der Diagnose Brechdurchfall und eklamptische Anfälle dem Krankenhaus überwiesen. Das Kind befand sich im guten Ernährungszustande, die Haut war blaß, die Schleimhäute leidlich gut durchblutet. Temperatur 36,5°. Das Kind machte einen schwerkranken Eindruck. Beim Aufsitzen fällt der Kopf nach vorn über, zeitweise besteht Opisthotonus. Die schlaffen Arme werden nicht bewegt, die Beine sind stark an den Leib angezogen. An den Augen besteht eine geringe inkonstante Deviation nach links. Die etwas ungleichen Pupillen reagieren prompt auf Licht und Konvergenz. Kornealreflex herabgesetzt. Augenhintergrund: nur geringe Stauung der Venen. Zunge feucht, wenig belegt. Ausgesprochener Kahnbauch. Die sonstigen Organe ohne Besonderheiten. Das Kind ist benommen und spricht nicht. Auf Berührung keine Reaktion. Kernigs und Brudzinskis Symptom positiv, ebenso Babinski; sonstige Reflexe in Ordnung. Das Kind läßt Harn und Stuhl unter sich gehen. Am Abend steigt die Temperatur auf 38,5°, fällt am nächsten Tage auf 36,8° bei gleichzeitiger Stuhlverstopfung. Das Kind wacht aber völlig munter auf und verlangt nach Milch. - Auf Befragung der Angehörigen stellte sich heraus, daß das Kind im Garten sechs bis acht schwarze Beeren gegessen hatte, die als Nachtschatten identifiziert werden konnten (Leffkowitz, nach Fühner, Sammlung von Vergiftungsfällen, Bd. 4, Lief. 3, März 1933.).

Außer Solanin u. a. enthalten die Solanumblätter Tropëin, das mydriatisch wirkt (Kobert, Lehrb. d. Intoxik., S. 614.).

Voigt (Voigt, Dtsch. med. Wschr. 1931, S. 1167.), der über die Verwendung als Nahrungsmittel zu verschiedenen Zeiten berichtet, nimmt als Ursache der Vergiftungen vor allem Wirkungsschwankungen während der Entwicklung der Pflanze an. Ich empfehle, die Tinkturen zu standardisieren. 1 ccm der Frischpflanzentinktur sollte 25 FD. enthalten.

Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):

Dänemark: Innerlich kühlend bei Wechselfieber, äußerlich als Schmerzstillungsmittel, erweichend und zerteilend.

Litauen: Der Aufguß von Beeren und Kraut als Sedativum bei starken Schmerzen.

Ungarn: Bei Blindheit und Rheuma.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Solanum nigrum ist bei zerebralen Reizzuständen indiziert. Einzelindikationen sind: Manie, Tobsucht, Krämpfe, insbesondere Epilepsie, Vertigo, Meningitis, Kopfschmerzen mit Benommenheitsgefühl, Hirnhautreizungen bei Infektionskrankheiten mit tetanoiden Konvulsionen, Formikationen, Kriebelkrankheit, schreckhafte Träume und Asthma nocturnum mit Krampfhusten, Blasenspasmen, Gastralgien und Enteralgien.

Selten wird es auch bei Ohren- und Augenkatarrh, Rheuma, Hydrops und entzündlichen, seborrhöischen, nässenden und psoriatischen Hautaffektionen (z. B. nässender Bartflechte) genannt. Äußerlich angewandt wird die Tinktur bei Psoriasis sehr geschätzt.

Angewandter Pflanzenteil:

Paracelsus spricht vom Saft der Pflanze, die hl. Hildegard vom Nachtschatten.

Bei Bock ist zu lesen: "Das kraut mit seiner bluet unnd zeittigen frucht."

Lonicerus erwähnt Kraut, Wurzeln und Beeren, während Matthiolus nur vom Kraute schreibt.

Auch Osiander erwähnt nur das Kraut bzw. die Blätter.

Clarke gibt die frische Pflanze an, und das HAB. schreibt die frische, zur Zeit der Blüte gesammelte Pflanze mit Wurzel (§ 1) vor. Dieses Material wird auch zur Gewinnung des "Teep" benutzt.

Sammelzeit: Juni bis August. Die Pflanzen müssen morgens gesammelt werden, da die Alkaloidpflanzen im Laufe der Nacht eine deutliche Zunahme des Alkaloidgehaltes aufweisen. Die Pflanzen dürfen aber nicht betaut sein.

Folia Solani nigri sind in Frankreich, Spanien und Portugal offizinell.

Dosierung:

Übliche Dosis:
2-20 Tropfen der Tinktur.
1 Tablette der Frischpflanzenverreibung "Teep" drei- bis viermal täglich.
(Die "Teep"-Zubereitung ist auf 10% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,025 g Hb. Solani nigri c. rad.)

In der Homöopathie:

Ø bis dil. D 3.

Maximaldosis:

Nicht festgesetzt, doch treten nach größeren Gaben Vergiftungserscheinungen auf, vgl. Wirkung.

Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.